Wer Troja hört, der denkt an Helena und Paris, Achilles und Agamemnon. Vielleicht aber auch an Heinrich Schliemann (1822–1890), den mecklenburgischen Kaufmann und Archäologen, der die Ruinen des bronzezeitlichen Troja ausgegraben hat. Ob die Fundstätte in Hisarlık Tepe in der heutigen Türkei wirklich dem antiken Troja entspricht, davon sind nicht alle Altertumswissenschaftler·innen überzeugt. Unbestritten jedoch ist die Bedeutung Schliemanns für die Archäologie des 19. Jahrhunderts.
Anlässlich seines 200. Geburtstags widmet ihm das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin eine große Ausstellung. Schliemanns Welten erkundet nicht nur seine Biografie, sondern auch die von ihm bereisten Länder. "Schliemann war einzigartig! Eine solche Person könnte man überhaupt nicht erfinden", meint Matthias Wemhoff, Direktor des Museums. "Seine größte Wandlung ist wahrscheinlich die vom Kaufmann zum Archäologen. Am Ende steht er da als der Entdecker von zwei großen, prähistorischen Kulturen im Mittelmeerraum."
Mehr als nur private Korrespondenzen
Interessant sind dabei nicht nur die von Schliemann ausgegrabenen und über Griechenland nach Deutschland verschifften Objekte, sondern auch die dazugehörigen Akten. An dem Bestand mit einer Laufzeit von 1871 bis 1939 lässt sich die Erwerbsgeschichte der Troja-Sammlung des Museums ablesen. Neben Aufzeichnungen Schliemanns – laut Wemhoff ein notorischer "Vielschreiber" – umfasst sie Briefe berühmter Persönlichkeiten wie Otto von Bismarck (1815–1898) und Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen (1831–1888). Die acht Aktenbündel, genannt Faszikel, überstanden beide Weltkriege relativ unbeschadet. Dem Zahn der Zeit hatten sie jedoch nichts entgegenzusetzen: Die knapp 2.700 Blätter – fast ausschließlich unikale, handschriftliche Dokumente – waren in schlechtem Zustand, weil sie nicht fachgerecht gebunden und häufig benutzt worden waren.
"An den Aktendeckeln und –blättern erkennt man große Risse, Knicke und Fehlstellen", erklärt Horst Juncker, Archivleiter des Museums. Eine Restaurierung in den 1980er-Jahren, bei der unter anderem Fotos als Platzhalter für Originale eingenäht wurden, habe den Akten mehr geschadet als sie gesichert. Im Mittelpunkt der erneuten Restaurierung in einem KEK-Modellprojekt 2021 hätten daher substanzerhaltende Maßnahmen gestanden. "Das begann bei den Aktendeckeln, die zum Teil über ein Papierspaltverfahren in zwei Flächen geteilt wurden", erklärt Juncker. "Dazwischen wurde eine Schicht aus Flugzeugleinen eingezogen, das die Fadenheftung für die Rücken der Aktendeckel besser verkraftbar machen sollte." Nachdem die Umschläge stabilisiert und die Heftungen erneuert worden waren, ging es mit dem Inneren der Faszikel weiter: Lose Auflagenstücke wie Fotos oder Notizzettel wurden fixiert, Einzelblätter eingeheftet. Anschließend wurden Verformungen, Knicke und Risse an den Seiten geglättet und mit Japanpapier stabilisiert. Die laut Juncker "unsäglichen Fotografien" wurden entnommen und durch Reprografien auf alterungsbeständigem Papier ersetzt. In maßgerechten Schutzverpackungen lagern die Schliemann-Akten mittlerweile wieder im Museumsarchiv.
Einblicke in Diplomatie und Archäologiegeschichte
Für Forschende aus aller Welt ist das eine erfreuliche Nachricht, denn der Reichtum der Akten macht sie zu einer wichtigen Quelle für die Museums- und Archäologiegeschichte. Auch die politischen Beziehungen zwischen Preußen, Griechenland und dem Osmanischen Reich sind an ihnen ablesbar. "Das ist ein großes diplomatisches Thema", meint Matthias Wemhoff. "Es gibt zum Beispiel Schriftwechsel mit Griechen und Türken, die mit dem Troja-Fund zusammenhängen." Um überhaut Ausgrabungen durchführen zu können, musste Schliemann Genehmigungen bei den zuständigen osmanischen Behörden einholen. "Es ist eine sehr umfassende Dokumentation, die uns einen direkten Einblick in diese Zeit ermöglicht."
Während Schliemann in Europa als Entdecker Trojas gefeiert wurde, war die Sicht auf seine Person in den Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs verständlicherweise kritisch. Schon zu Schliemanns Lebzeiten herrschte immer wieder schlechte Stimmung, z. B. weil Schliemann Funde unvermittelt nach Athen mitnahm. Das Osmanische Reich verdonnerte ihn deshalb zu Geldstrafen und verbot ihm zeitweise die Einreise in die Fundregionen. Auch das lässt sich an Schliemanns Korrespondenzen ablesen. "Diese ganzen Geschichten sind wichtig, um die Basis seiner Tätigkeit, von Fundteilungen und dem Export von Objekten wirklich beurteilen zu können", meint Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Museum für Vor- und Frühgeschichte gehört.
Die Zeiten seien andere gewesen – nicht nur was Grabungsumstände, sondern auch was Grabungstechniken angehe. "Ich glaube, wir müssen alle Ausgräber der damaligen Zeit kritisch sehen. Damals war die Grabungsarchäologie mit ihrer Methodik noch nicht so weit entwickelt." Man sei sehr auf die Objekte fixiert gewesen und habe den Kontext oft vergessen. Dass die Schliemann-Akten in dieser Ausführlichkeit erhalten geblieben sind, ist als Glücksfall zu werten. Nicht nur die Forschung, auch eine Ausstellung wie "Schliemanns Welten" ist auf die schriftliche Dokumentation zu Fundstücken angewiesen, wenn sie nicht auf einer rein ästhetischen Ebene verharren will. Ein Torbogen aus der Bronzezeit mag objektiv schön sein, die Geschichte seiner Entdeckung aber ist ebenso interessant. "Wenn man Objekte wirklich zum Sprechen bringen will, braucht man die schriftlichen Unterlagen, die direkt mit ihnen verbunden sind", meint Parzinger. Wie Schriftgut und Objekte in der Praxis zusammenkommen können, zeigt die Ausstellung, die noch bis zum 06. November 2022 in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum zu besichtigen ist. Sie lebt von der außergewöhnlichen Persönlichkeit Heinrich Schliemanns – und vom Mythos des antiken Troja.