Kulturgut ist vielen Gefahren ausgesetzt. Als Prähistoriker und Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beschäftigt sich Prof. Dr. Hermann Parzinger immer wieder mit der Frage, wie es dauerhaft geschützt werden kann. Wir haben mit ihm über museale Sammlungen, sein neues Buch und den Beitrag der KEK gesprochen.
KEK: Seit ihrer Gründung 2011 ist die KEK eingerichtet bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und angesiedelt an der Staatsbibliothek zu Berlin. Welche Bilanz ziehen Sie nach zehn Jahren der Zusammenarbeit?
Hermann Parzinger: Mit der Einrichtung der KEK wurde anerkannt, dass der Erhalt des schriftlichen Kulturguts eine nationale, gesamtstaatliche Aufgabe darstellt. Die KEK wurde bei der SPK angesiedelt, die dafür bestens geeignet ist: als Bund-Länder-geförderte Einrichtung mit immensen Beständen wertvollsten schriftlichen Kulturguts und bedeutender Expertise. Innerhalb der SPK ist die KEK an der Staatsbibliothek zu Berlin angebunden. Sie hat ein Gesamtkonzept für die Sicherung des gefährdeten Erbes entwickelt, die vorhandenen Kenntnisse ausgewertet und Initiativen und Experten vernetzt. Sie legte eine bundesweite Schadensbilanz und Handlungsempfehlungen vor. Mit der Förderung von Modellprojekten zum Kulturerhalt hat sie das Wissen stark erweitert. Auch werden Projekte gefördert, die neue technische Verfahren entwickeln. Eine besondere Förderlinie unterstützt bei besonders großvolumige Maßnahmen. Die KEK ist wirklich ein Erfolgsprojekt der Bund-Länder-Zusammenarbeit, das bisher rund 850 Projekte unterstützt und rund 18,5 Mio. Euro an Fördermitteln in den Originalerhalt investiert hat. Nicht zuletzt hat die KEK Politik und Fachöffentlichkeit für die Bedeutung des originalen Bestands schriftlichen Kulturguts sensibilisiert.
Die KEK kümmert sich um den Schutz des schriftlichen Kulturguts vor dem Zahn der Zeit. Inwieweit ist diese Förderung auch für museale Sammlungen, in denen sich primär nicht schriftliches Kulturgut befindet, von Interesse?
Die aktuellen Debatten um die Herkunft von Museumsobjekten zeigen, dass wir künftig mehr denn je darüber erfahren wollen, wie die Museumssammlungen zustande kamen, unter welchen Umständen die Objekte in die Sammlungen gelangten. Dies ist in der Regel nur über die Analyse schriftlicher Quellen möglich: Inventarbücher, Erwerbungsakte, Reiseberichte, Tagebuchaufzeichnungen und viele andere, aber immer schriftliche Unterlagen. Der Erhalt dieser Quellen ist deshalb von größter Bedeutung. Auf die Staatlichen Museen zu Berlin bezogen, befinden sich die meisten dieser Unterlagen im Zentralarchiv, dessen Bestand von eminenter Bedeutung für jegliche Art von Provenienzforschung ist, insbesondere im Zusammenhang mit der Rückgabe von NS-Raubkunst und von Kunst- und Kulturgütern aus kolonialem Kontext. Die SPK ist mit ihrem spartenübergreifenden Profil aus Museen, Bibliotheken, Archiven und Forschungsinstituten dabei besonders gut geeignet, die interdisziplinäre Zusammenarbeit voranzutreiben, Netzwerke zu bilden und den Austausch der Experten aus unterschiedlichen Arten von Gedächtnisinstitutionen zu befördern.
In Ihrem neuen Buch "Verdammt und vernichtet: Kulturzerstörungen vom Alten Orient bis zur Gegenwart" zeigen Sie eine andere Form des Kulturgutverlusts auf: die bewusste Zerstörung. Welche Vernichtung historischer Schriftquellen hat Sie besonders betroffen gemacht?
Mir ging es in diesem Buch um eine Geschichte der intentionellen Vernichtung von Kulturgut aus politischen, ideologischen, religiösen oder andere Gründen in einer diachronen Betrachtung vom Altertum bis in die Gegenwart, um dabei sowohl Unterschiede und Entwicklungen aufzuzeigen als auch Kontinuitäten und rote Fäden herauszuarbeiten. Der hauptsächliche Fokus lag dabei auf Architektur, Monumenten und Kunstwerken, die öffentlich sichtbar und wirksam sind und gerade deshalb zu allen Zeiten zu bevorzugten Zielscheiben solcher Kulturzerstörungen geworden sind. Aber natürlich geht es dabei auch um die Vernichtung von schriftlichen Überlieferungen, in der Regel aus denselben Gründen. Die Geschichte der Bücherverbrennungen ist lang und zieht sich über Jahrhunderte. Wir Deutsche denken mit Schaudern an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, etwa 1933 auf dem Berliner Opernplatz. Doch auch die jüngsten Kulturzerstörungen islamistischer Terroristen beziehen Schriftquellen mit ein, denkt man nur an die Vernichtung ganzer Bibliotheken durch den IS in Mosul. Der Terrorgruppe Ansar Dine wäre es fast gelungen, der einzigartigen Schätze der Bibliotheken aus der mittelalterlichen und neuzeitlichen Buchhandels- und Wissenschaftsmetropole von Timbuktu habhaft zu werden. Nicht auszudenken, was damit geschehen wäre. Ich fand es sehr ergreifend, wie man diese Schätze der Weltkultur, Hunderttausende von Handschriften und wertvollsten Manuskripten, zwischen Obstkisten versteckt in Kleintransportern unauffällig in Sicherheit brachte. Heute werden diese einmaligen Schriftzeugnisse restauriert, auch mit deutscher Hilfe, etwa durch die Gerda Henkel Stiftung.
In diesem Jahr wird erstmals das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin gefördert, das Akten des Archäologen Heinrich Schliemann (1822–1890) erhält. Warum ist dieses Projekt so besonders?
Die Schliemann-Akten des Museums für Vor- und Frühgeschichte eröffnen uns ein erstaunlich breites Spektrum von Informationen aus der Zeit der Entstehung und ersten öffentlichen Präsentation der archäologischen Sammlungen aus den Ausgrabungen von Heinrich Schliemanns. Sie dokumentieren zahlreiche Geschichten, die wir erzählen können, um archäologische Funde für unsere Besucherinnen und Besucher vielschichtig aufzuschlüsseln und erlebbar zu machen. In den acht Bänden der Schliemann-Akten stoßen wir auf fast jeder der über 3.000 Seiten auf die "Stimmen" der einstigen Akteure: Menschen, die mit der Auffindung, der wissenschaftlichen Auswertung, der diplomatischen Vermittlung, dem Transport, der sicheren Aufbewahrung und der Erstpräsentation der Ausgrabungsergebnisse Schliemanns in Berlin befasst waren. Neben Schliemann selbst, der seine Ideen und Pläne in mehr als 100 Briefen mit den führenden Archäologen der Berliner Museen diskutierte, begegnen wir in den Korrespondenzen, Berichten, Konzepten, Telegrammen, Notizen und Listen immer wieder auch anderen namhaften Gelehrtenpersönlichkeiten dieser Zeit. So zum Beispiel Rudolf Virchow oder Wilhelm Dörpfeld, der eine fachlicher Mentor und Freund Schliemanns, der andere sein persönlicher Assistent und späterer Stellvertreter bei den Ausgrabungen in Troja.
Über eine dichte Folge diplomatischer Aktivitäten zwischen Deutschland und dem damaligen Osmanischen Reich, wo Schliemann ausgrub, sowie zwischen Deutschland und Griechenland, wo Schliemanns Lebensmittelpunkt lag, berichten uns die weitverzweigten Korrespondenzen mit Ministerialbeamten des preußischen Kultusministeriums. Die letzten Bände der Schliemann-Akten beleuchten schließlich das Ringen um einen wissenschaftlichen Gesamtkatalog und die Auswahl und Übergabe von typologischen Fundkollektionen an die bedeutendsten Museen und Universitätssammlungen in Deutschland. 2022 ist Schliemann-Jubiläumsjahr, wir feiern seinen 200. Geburtstag. Mit Hilfe einer Förderung der KEK können wir die 140 Jahre alten Schliemann-Akten konservieren und restaurieren und damit diesen Mikrokosmos forschungs- und museumsgeschichtlichen Wissens aus der Zeit der Anfänge der Archäologie für die Zukunft sichern und für das Publikum erfahrbar machen. Die bevorstehende Digitalisierung und Online-Präsentation ist dabei jedoch nur möglich, wenn die Dokumente zuvor restauratorisch behandelt wurden.
Kulturgut soll Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende überdauern. Was sind die größten Herausforderungen für den Originalerhalt im 21. Jahrhundert?
Die Auswirkungen des Klimawandels auf den Erhalt des schriftlichen Kulturguts sind ganz gewiss ein Thema, das auch wir Kultureinrichtungen und Gedächtnisinstitutionen viel stärker in den Blick nehmen müssen. Fragen der bestmöglichen Lagerung der Dokumente, die Auswirkungen des Gebäudeklimas, insgesamt Forschungsthemen zur Materialität der schriftlichen Zeugnisse werden künftig noch wichtiger werden. Und dann werden wir uns zunehmend der Frage stellen müssen, wie wir langfristig mit dem rapide wachsenden Bestand an Digitalisaten umgehen und ihre Langfristarchivierung sichern können, um auch diese Zeugnisse zusammen mit den Originalen für die Zukunft zu sichern.