Ein scharfer Wind der Kritik blies August von Schindel für sein Lexikon "Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts" ins Gesicht: Der Rezensent des vor 200 Jahren erschienen ersten Teils warf von Schindel vor, nicht nur ein unnützes, sondern auch ein schädliches Werk herausgegeben zu haben, denn dieses würde "manches gute Mädchen [...] zu neuen eitelen Versuchen reizen" und er bemerkte weiter: "Durch öffentliches Vortreten und Lautwerden versehrt das Weib seine angeborne Sitte und Würde." Schließlich steigerte sich der Kritiker in die Frage: "Warum schiene die Poesie etwas Anderes, als ein Amt und Geschäft der Männer?" 

Ein außergewöhnliches Lexikon 

Mit dieser bissigen Besprechung in dem damals vielgelesenen Journal "Göttingische gelehrte Anzeigen" hätte das Lexikonprojekt ein schnelles Ende finden können, denn der erboste Kritiker war kein geringerer als der berühmte Sprach- und Literaturwissenschaftler Jacob Grimm (1785–1863). Aber der Leipziger Brockhaus-Verlag hielt seinem Autor die Treue. Von 1823 bis 1825 wurden sämtliche drei Bände des Nachschlagewerks herausgegeben und damit erstmals die schriftstellerischen Leistungen deutschsprachiger Autorinnen des frühen 19. Jahrhunderts gewürdigt. Es ist allerdings sehr erstaunlich, dass ausgerechnet ein Oberlausitzer Adliger fernab aller Zentren des zeitgenössischen Literaturbetriebs darauf kam, ein für die damalige Zeit so außergewöhnliches Lexikon zu erarbeiten und auf den Büchermarkt zu bringen. 

Carl Wilhelm Otto August von Schindel und Dromsdorf
Ein frühes Porträt August von Schindels. © René Pech

Carl Wilhelm Otto August von Schindel und Dromsdorf, so sein vollständiger Name, wurde am 21. April 1776 auf Burg Tzschocha (heute Zamek Czocha in Polen) geboren. Seine Eltern waren der Landesälteste des Görlitzer Kreises Ferdinand Otto von Schindel und Dromsdorf (1740–1805) und Johanne Mariane, geborene von Köckritz (1750–1790). Kaum hatte August das vierte Lebensjahr vollendet, wurde er einem Erzieher und Lehrer übergeben. Dieser sollte dem Wunsch des Vaters gemäß den kindlichen Geist seines Sohnes leiten und formen. 1781 verließ die Familie Burg Tzschocha und übersiedelte ins oberlausitzische Schloss Schönbrunn (heute Studniska Dolne in Polen). Auch hier setzten Hauslehrer gemäß dem strengen Gebot des Vaters die Ausbildung des Knaben fort. Sein Hauslehrer Georg Hermann Friedrich Köhler (1753–1831) verstand es, den jungen Adligen für antike römische Literatur zu begeistern, lehrte ihn Griechisch und vermittelte ihm Techniken des effektiven Selbststudiums. 1793 ging August von Schindel an das Görlitzer Gymnasium Augustum und zwei Jahre später an die Leipziger Universität. 1798 kehrte er, ohne allerdings einen Universitätsabschluss erworben zu haben, in die Oberlausitz zurück. 1800 nahm er bei den Oberlausitzer Landständen eine Tätigkeit in der Brandversicherungs-Deputation auf, wurde 1804 zum Landesbestallten und 1822 schließlich zum Landesältesten gewählt. Am 24. September 1817 trat er als geachteter Amtsträger und begeisterter Literaturhistoriker in die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften (OLGdW) ein und war von 1819 bis 1830 deren Präsident. 

Die Bibliothek des Bücherfreunds

Sein Lexikonvorhaben kündigte von Schindel 1817 im "Allgemeinen Anzeiger der Deutschen" folgendermaßen an: "Schon seit Jahren beschäftige ich mich, zu meinem eigenen Vergnügen, mit sich auf diesen Gegenstand beziehenden Sammlungen und Notizen." Im Vorwort zu seinem Lexikon bekräftigte er, dass er sich anfangs aus reinem Interesse an der Literaturgeschichte Notizen über Autorinnen machte und schließlich die Idee Form gewann, "dem Freunde der Literatur mit einem Verzeichnisse derselben und ihrer Schriften eine nicht unwillkommene und [...] nicht ganz überflüssige Gabe zu widmen." Als großer Bücherfreund trug er in Schönbrunn eine umfangreiche Bibliothek zusammen, die wohl den Grundstock seiner Forschungen bilden sollte. Viele hundert Briefe schrieb er an Autorinnen, Verleger und Kenner der deutschen Literatur, um biografische Daten und Angaben zu den Werken der Schriftstellerinnen zu erhalten. 

Caroline Pichler, Johanne Karoline Wilhelmine Spazier, Helmina von Chézy
Im Lexikon vertreten sind u. a. Caroline Pichler, Johanne Karoline Wilhelmine Spazier und Helmina von Chezy (von links). © gemeinfrei/CC BY-SA 4.0 DEED, anonymus/gemeinfrei

Im Frühjahr 1821 waren seine Vorarbeiten soweit gediehen, dass er auf die Suche nach einem Verleger ging. Georg Joachim Göschen (1752–1828), Verleger der Werke Goethes, Schillers und Wielands, empfahl ihm zunächst die renommierte Hahnsche Verlagsbuchhandlung in Hannover, doch schon im Juni meldete der Leipziger Brockhaus-Verlag Interesse an der Herausgabe des Lexikons an. Im Dezember schlossen Verleger und Autor einen Vertrag über die Edition. 1823 erschien der erste Teil des Nachschlagewerks mit den Buchstaben A–L, 1825 der zweite Teil von M–Z sowie ein dritter Band mit Ergänzungen und Berichtigungen. Insgesamt stellte von Schindel mehrere hundert Autorinnen auf über 1.100 Druckseiten vor und schuf damit das vollständigste Verzeichnis seiner Zeit. 

Erfasst und für die Zukunft gesichert

Nach seinem Tod im Jahr 1830 schlummerten die umfangreichen Materialsammlungen, Briefschaften und Manuskripte auf Schloss Schönbrunn Jahrzehnte im Verborgenen. 1912 wandte sich Margarethe Finck von Finckenstein (1847–1917), eine Großnichte des Autors, an die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften und bot das Material als Schenkung an. Als Nachlass eines Oberlausitzer Autors und ehemaligen Präsidenten der OLGdW wurde die Offerte mit Freuden angenommen. Nach der Auflösung der Gesellschaft 1945 übernahm die 1951 gegründete Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften (OLB) als Nachfolgeeinrichtung das gesamte Konvolut.

Erst 2022 konnten die etwa 450 Briefe von Schriftstellerinnen und Kontaktpersonen aus der Entstehungszeit des Lexikons, der ausführliche Briefwechsel mit dem Brockhaus-Verlag sowie die beiliegenden Manuskripte erfasst und einzeln verzeichnet werden. Sämtliche Unterlagen sind inzwischen im Online-Katalog der OLB zu finden und können dort nach den Namen der Korrespondent·innen durchsucht werden. Allerdings hatten die Briefe und Manuskripte durch die Lagerung als geschnürte Pakete stark gelitten. Einrisse, Einrollungen und Verschmutzungen ließen eine Benutzung nicht mehr zu. 

Schließen von Fehlstellen mit Japanpapier
Eine Fehlstelle im Papier wird mit Japanpapier geschlossen. © Christoph Roth, Firma Zimelion Döbeln

Dank einer Förderung als KEK-Modellprojekt 2023 sowie eines Zuschusses der Landesstelle für Bestandserhaltung in Sachsen konnte der umfangreiche Nachlass restauriert werden. Insgesamt umfasst das Material 2.163 Blatt Briefe und Manuskripte, darunter auch ein handschriftliches Widmungsexemplar von Schindels. Die Restaurierung beinhaltete eine sorgfältige Trockenreinigung, das Auslegen und Glätten eingerollter und verknickter Seiten sowie das Schließen von Rissen und Fehlstellen an den Blattkanten. Außerdem wurde die Anfertigung von acht maßgenauen Schutzverpackungen in Auftrag gegeben. Im Dezember 2023 kehrten die wertvollen Handschriften in die OLB zurück und stehen nun wieder für Nutzer·innen bereit.