Als Direktorin der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB) stellt Maria Elisabeth Müller die Weichen für Originalerhalt und Digitalisierung. Wir haben Sie gefragt, welche Sammlungen sie momentan beschäftigen und was in Zukunft für die Bestandserhaltung wichtig wird. 

KEK: Die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen verwahrt zahlreiche wertvolle Sondersammlungen. Welche davon beschäftigen Sie im Moment?

Maria Elisabeth Müller: Derzeit richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die Bremer Sammlung der mittelalterlichen Handschriften, die wir im Rahmen eines DFG-Projekts in Zusammenarbeit mit der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel vollständig digitalisieren. In Vorbereitung der Digitalisierungsmaßnahme wurden sämtliche Handschriften von den Restauratoren auf Digitalisierung geprüft und festgestellte Schadensbilder bearbeitet. Also: Keine Digitalisierung ohne Originalerhalt! Diese kleine, aber feine Bremer Sammlung mittelalterlicher Handschriften wird neben der Präsentation in den digitalen Sammlungen der SuUB Bremen auch überregional im Handschriftenportal verzeichnet, so dass diese einzigartigen und wertvollen Bestände der Forschung und interessierten Öffentlichkeit erstmals digital zugänglich werden. Wir verstehen die Digitalisierung auch als wichtigen Schritt der Bestandserhaltung, indem die Originale geschont und Nutzungsschäden vermieden werden.

Was ist der besondere Wert geschlossener Sammlungen?

Geschlossene Sammlungen ermöglichen die Rekonstruktion eines Wissenskanons. Der einzelne Buchtitel, der in vielen Bibliotheken vorhanden sein kann, erhält seine besondere Bedeutung durch den Kontext der Sammlung, die Rückschlüsse über die Entstehung und Provenienz der Sammlung eröffnen.

Pergamenteinbände
Eine besonders schöne Sammlung in der SuUB ist die Arbeitsbibliothek des Universitätsprofessors Johann Philipp Cassel (1707–1783). © Thomas Steinle

Im Falle berühmter Schriftsteller∙innen geben geschlossene Sammlungen in Form von Haus- oder Handbibliotheken auch Aufschluss über Rezeptionsprozesse. Wie häufig werden Ihre Sondersammlungen von Forscher∙innen besucht?

Das hängt sicherlich von der Bedeutung der jeweiligen Sondersammlung ab und natürlich von den aktuellen Forschungsfragestellungen. So haben wir in direkter Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Fachwissenschaftlern eine digitale Sammlung Deutscher Kolonialismus aufgebaut und den in der Kolonialzeit gesammelten Bibliotheksbestand zum Deutschen Kolonialismus aus einem Dornröschen-Schlaf geholt. Und was die Ermittlung von Nutzungszahlen der Sondersammlungen betrifft, lässt sich dies bei der Bereitstellung der physischen Bestände gut ermitteln. Weitaus schwieriger ist die verbindliche Feststellung der Nutzungshäufigkeit mit der digitalen Bereitstellung von Sondersammlungen. Grundsätzlich lässt sich aber feststellen, dass der unkomplizierte digitale Zugang übers Netz eine deutliche Steigerung der Nutzung zur Folge hat.

Viele dieser Hausbibliotheken enthalten Standardwerke. Wie beeinflusst der spezielle Sammlungskontext die Wertigkeit dieser Ausgaben? 

Wie schon zuvor gesagt, gewinnt jede noch so weitverbreitete Ausgabe eine besondere Bedeutung über den Kontext und die Entstehung einer Sammlung.  So können Rückschlüsse über die Sammlerinnen und Sammler und den von ihnen gelesenen Bücher gezogen werden und persönliche Randbemerkungen, Kommentare oder Anstreichungen im Text erlauben individuelle Einblicke in die Rezeption der Werke.  

Kulturgut soll Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende überdauern. Was sind die größten Herausforderungen für den Originalerhalt im 21. Jahrhundert?

Während wir für den physischen Originalerhalt insbesondere des schriftlichen kulturellen Erbes wichtige Maßnahmen der Bestandserhaltung ergreifen können, stehen wir bei Langzeitarchivierung digitaler Ressourcen erst am Anfang.