An der Gründung der KEK vor zehn Jahren war Dr. h.c. (NUACA) Barbara Schneider-Kempf, Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, aktiv beteiligt. Seitdem begleitet sie die Koordinierungsstelle in ihrer Entwicklung vom Pilotprojekt zur Ansprechpartnerin für den bundesweiten Originalerhalt. Wir haben sie gefragt, was sich in zehn Jahren verändert hat und welche neuen Aufgaben die Zukunft bringt. 

KEK: Die Koordinierungsstelle wurde 2011 als gemeinsames Bund-Länder-Projekt gegründet. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben in den Anfangsjahren? 

Barbara Schneider-Kempf: Zu Beginn stand die Bewusstseinsbildung im Fokus. Fast nur Expert∙innen war damals bekannt, wie bedroht schriftliches Kulturgut überhaupt ist. Mit der alleinigen Aufbewahrung von Akten und Büchern ist es schließlich nicht getan. Hier musste die KEK erst einmal Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Über exemplarische Projekte, wie die Restaurierung eines Zauberbuchs aus der Faust-Bibliothek oder des Mecklenburgischen Planschatzes, wurde auf die Thematik aufmerksam gemacht. Die zweite große Aufgabe in den Anfangsjahren war eine gründliche Bestandsaufnahme zu schriftlichem Kulturgut in Deutschland. Schließlich kann man nur retten, wovon man auch weiß. Die Veröffentlichung der Bundesweiten Handlungsempfehlungen im Jahr 2015 war ein Meilenstein. Von diesem Zeitpunkt an war klar, welche Herkulesaufgabe die KEK vor sich hat.

Welche Arbeitsbereiche sind hinzugekommen, die zu Beginn noch nicht im Fokus standen?

Da das Budget der KEK in den ersten Jahren begrenzt war, wurde vor allem exemplarisch gefördert. 2017 hat sich das mit der Einführung des BKM-Sonderprogramms schlagartig geändert. Mit einem Etat von 1 Mio. Euro konnte erstmals in die Breite gefördert werden. Das betraf vor allem Mengenverfahren wie Massenentsäuerung, Trockenreinigung und Schutzverpackung. Seitdem ist das Volumen des BKM-Sonderprogramms kontinuierlich gestiegen. Die Förderlinie ist damit zu einem der größten Arbeitsbereiche der KEK geworden. Eine weitere große Veränderung brachte der Launch des KEK-Portals im Juni 2020. Zum ersten Mal konnten umfassende Daten zum Originalerhalt digital zugänglich gemacht und visualisiert werden. Außerdem gibt es nun eine Wissensdatenbank und ein Onlinemagazin – alles Dinge, die auf der alten Website nicht möglich gewesen wären. Das KEK-Portal wird damit zu einer echten Schnittstelle zwischen Projektträger∙innen, Fachcommunity und Öffentlichkeit.

Fachbeirat der KEK
Barbara Schneider-Kempf (zweite von rechts) mit Fachbeirat, Förder∙innen und Leitung der KEK 2012. © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Eine Aufgabe der KEK ist es, den spartenübergreifenden Originalerhalt zwischen Bibliotheken und Archiven zu koordinieren. Welche Aspekte sind Ihnen als Bibliotheksdirektorin besonders wichtig?

Da Bibliotheken und Archive qua definitionem sehr unterschiedlich sind, braucht es eine Schaltstelle, die schnell und agil zwischen verschiedenen Projektträger∙innen, Einrichtungen und Expert∙innen operieren kann. Die KEK ist hierfür wie geschaffen, da sie als Projekt autark ist und über ihre Netzwerke Vertreter∙innen aller Bereiche an einen Tisch holen kann. Sie ist zudem eine Vermittlerin zwischen Bund- und Länderebene. Über ihre beiden Förderinnen, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und die Kulturstiftung der Länder (KSL), ist sie hier sehr gut positioniert. Ein weiteres großes Thema ist die Mehrfachüberlieferung von Druckschriften ab 1850. Hier besteht auf Bibliotheksseite viel Koordinierungsbedarf. Archive sehen sich dieser Problematik nur selten ausgesetzt, da sie größtenteils unikale Schriften verwahren.

Auch vier Projekte der Staatsbibliothek zu Berlin wurden in den letzten Jahren von der KEK gefördert. Welche Bestände wurden behandelt, welche Maßnahmen angewendet?

Das erste Förderprojekt war ein sehr besonderes: 2015 wurde eine altjavanische Handschrift aus der Sammlung der Staatsbibliothek restauriert. Der Beschreibstoff – Blätter der Gebang-Palme, die wegen ihrer Instabilität historisch nur kurzzeitig verwendet wurden und das Objekt daher sehr selten machen – hat unsere Restaurator∙innen vor einige Herausforderungen gestellt. Schließlich verlangt jedes Material spezifische Kenntnisse und eigene konservatorische Maßnahmen. Zusätzlich wurde ein neues Konzept zur Aufbewahrung erarbeitet, das Wissenschaftler∙innen einen berührungsfreien Zugriff auf den unikalen Text erlaubt. Die Folgeprojekte waren ganz anderer Natur: In drei großen Chargen werden seit 2018 Bände des allgemeinen Druckschriftenbestands entsäuert. Das ist zwar nicht so spannend wie eine Palmblatthandschrift, aber ebenso wichtig. Schließlich sind viele Bücher dieses Bestands von Säurefraß bedroht und können nur auf diese Weise erhalten werden.

Palmblatthandschrift
Die Palmblatthandschrift lagerte in einem für Indonesien typischen Holzkasten. © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Dirk Schönbohm

Schriftliches Kulturgut soll Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende überdauern. Was sind die größten Herausforderungen für den Originalerhalt im 21. Jahrhundert?

Die größte Herausforderung ist sicherlich der Klimawandel. Wenn es in Deutschland dauerhaft wärmer wird, müssen wir unsere Lagerungskonzepte grundlegend überdenken und anpassen. Selbstverständlich betrifft das auch Gebäudearchitektur, Bauplanung, Materialien und Technologien. Je nach Standort und Alter des jeweiligen Magazins ergeben sich ganz unterschiedliche Problematiken. Ein weiteres Thema, das uns sicherlich beschäftigen wird, ist die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Gerade in Zeiten großer Umbrüche ist es hilfreich, sich auf die Geschichte zu besinnen. Das geht nur dann, wenn schriftliche Quellen auch im Original erhalten sind. Ein Objekt in seiner Materialität, seiner Haptik und auch seiner emotiven Qualität kann nicht von einem Digitalisat ersetzt werden. Hier kommt dem Originalerhalt auch in Zukunft große Bedeutung zu.