Landesstellen für Bestandserhaltung übernehmen zentrale Aufgaben beim Originalerhalt. Almuth Corbach, Leiterin der Stabsstelle Erhaltung und Restaurierung an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und Landesfachberaterin in Niedersachsen, und Marc Holly, Leiter der Landesberatungsstelle zur Bestandserhaltung in Sachsen-Anhalt, stellen im Gespräch ihre Arbeit vor. Als Länderexpert·innen nehmen sie jährlich am Bundesweiten Expert·innengespräch teil. Das Netzwerk wurde 2013 von der KEK initiiert und trägt u. a. zur Verbesserung der länder- und spartenübergreifenden Informationslage zum Originalerhalt bei.

KEK: Frau Corbach, Sie betreuen das zweitälteste Landesprogramm für Bestandserhaltung. Herr Holly, Sie beraten eines der jüngeren Programme. Wie sind Sie beide zum Originalerhalt gekommen?

Almuth Corbach: Dem 1986 gegründeten niedersächsischen Landesprogramm für Bestandserhaltung bin ich schon lange verbunden: Über viele Jahre war ich als Papierrestauratorin in Projekten angestellt – finanziert durch Fördermittel aus eben diesem Programm. 2006 habe ich die Leitung der Stabsstelle Erhaltung und Restaurierung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel übernommen und damit zugleich die Aufgabe der Landesfachberaterin. Die niedersächsische Bestandserhaltungsstrategie bezieht sich streng genommen nur auf die wissenschaftlichen Bibliotheken, die dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur unterstehen. Organisation und praktische Abwicklung der Landesförderung betreut die "Arbeitsgruppe Bestandserhaltung", der auch ich angehöre.

Marc Holly: Ich habe nach einer Buchbinderausbildung Restaurierung- und Konservierung von Buch und Papier studiert. Schon im Studium an der TH Köln durfte ich in Projekten mitarbeiten, die von der KEK finanziert wurden. Später habe ich dann auch freiberuflich an KEK-Modellprojekten und aus dem BKM-Sonderprogramm finanzierten Projekten gearbeitet. Seit September 2021 arbeite ich an der neu eingerichteten Beratungsstelle Bestandserhaltung Sachsen-Anhalt. Ein Fokus war von Anfang an die fachliche Beratung kleinerer Archive, Bibliotheken und Museen zum Landesprogramm "Erhalt des schriftlichen Kulturgutes" (gestartet 2020) und zur KEK-Modellprojektförderung bzw. zum BKM-Sonderprogramm.

Wie haben sich Ihre jeweiligen Landesstellen in den letzten Jahren entwickelt?

Corbach: Vertreter·innen von fünf Bibliotheken bilden inzwischen die AG Bestandserhaltung, die sich zusätzlich zu ihren Aufgaben vor Ort der Landeskonzeption Bestandserhaltung in Niedersachsen widmen. Wir erarbeiten Vorschläge für Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen, begutachten die eingereichten Förderanträge und formulieren Empfehlungen an das Ministerium, welche Projekte zu fördern wären. Es ist eine sehr individuelle und flexible Umsetzung mit schlanker Administration, die sich bewährt hat. Die Landesinstitutionen haben in den letzten Jahren gerne die zusätzlichen Aktionsmöglichkeiten wahrgenommen, die sich durch die KEK-Modellprojektförderung und das BKM-Sonderprogramm ergeben. Auch sie werden von unserer AG koordiniert.

Holly: Als Kernaufgaben der Beratungsstelle haben wir die Bereiche Beratung, Vernetzung und Fortbildung definiert. Von 2021 bis 2022 stand hierzu vor allem das Kennenlernen der Museen, Bibliotheken und Archive sowie diverser Partner im Land an. Aus der Arbeit mit den Einrichtungen wurde ein Fortbildungsprogramm entwickelt, welches Grundlagen aber auch weiterführende Themen der Bestandserhaltung vermittelt. Die Fortbildungen in Präsenz dienen auch der Vernetzung der Einrichtungen untereinander. Hier kommt zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auch ein Generationenwechsel in zahlreichen Einrichtungen hinzu. Grund genug, sich zu treffen, kennenzulernen und ins Gespräch zu kommen.

Was sind die wichtigsten Aufgaben, mit denen Sie sich täglich auseinandersetzen?

Corbach: Aus ganz unterschiedlichen Gründen wird Kontakt zur Landesfachberaterin aufgenommen. Für Einrichtungen, die Fördermittel beantragen möchten, ist eine Beratung vorab verpflichtend. Darüber hinaus können auch andere Kulturinstitutionen meine Expertise nutzen, die weder über eine eigene Werkstatt noch über anderweitige Fachkompetenz verfügen. In gewissem Rahmen dürfen auch Privatpersonen Beratung in Anspruch nehmen. Im Vordergrund stehen Anfragen zu Prävention und Sammlungsmanagement, z. B. Aufbewahrung, Klima, Schimmel, Biozide, Reinigung, Bauvorhaben, Ausstellung oder Digitalisierung. Konservierung und Restaurierung sind ein weiterer Schwerpunkt, aber auch kodikologische oder kunsttechnologische Fragen.

Holly: Bei den Beratungsterminen in den Einrichtungen geht es neben Fragen zu konkreten Schadensbildern an Kunst- und Kulturgut verstärkt um die Evaluierung der bestehenden Depots bzw. Magazinräume; bei den Museen auch um die Ausstellungsräume. Hier gibt es großen Handlungsbedarf. Es gilt, basierend auf den Gegebenheiten vor Ort pragmatische Lösungen für die Bedürfnisse der Sammlungsobjekte aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu entwickeln. Im Sinne der Bestandserhaltung gilt es aus dem Problembewusstsein hin zu einer tragfähigen Strategie und schließlich ins Handeln zu kommen.

Gruppenfoto X. BWEG
Das X. Bundesweite Expert·innengespräch fand am 19. November 2023 in der Staatsbibliothek zu Berlin statt. © KEK

Wie bewerten Sie den Kompetenzausbau in den Ländern? Gibt es Berührungspunkte zwischen den einzelnen Landesstellen?   

Corbach: Seit Beginn der Bestandserhaltungsstrategie des Landes Niedersachsen vor beinah vier Jahrzehnten hat die Professionalisierung enorm zugenommen: Die Ausbildung von Papierrestaurator·innen erfolgt seit den 1990er-Jahren auf Hochschulniveau; die Werkstätten der niedersächsischen Bibliotheken wurden ausgebaut; im Zuge der Digitalisierung entwickelten sich elektronische Ressourcen wie das "Forum Bestandserhaltung" und die Allianz Schriftliches Kulturgut Erhalten wurde gegründet. All dies hat zur Sensibilisierung für den Originalerhalt beigetragen – und nicht zuletzt auch die KEK auf den Weg gebracht. Es ist ein überschaubarer Fachbereich mit einem ausgeprägten Netzwerk entstanden. Je nach Fragestellung arbeiten hier auch die Landesstellen zusammen.

Holly: Hier hat sich in den letzten Jahren viel bewegt. Neben Sachsen-Anhalt haben auch Sachsen und Schleswig-Holstein weitere Beratungsstellen geschaffen, die in ihre Länder hineinwirken. Die Vernetzung der Beratungsstellen bzw. Landesstellen für Bestandserhaltung findet bisher überwiegend im bundesweiten Expert·innennetzwerk der KEK, dem bundesweiten Treffen der Notfallverbünde und natürlich auf persönlicher Ebene statt. Hier ist es mir ein großer Wunsch, in den nächsten Jahren auszuprobieren, welche weiteren regelmäßigen Austausch- und Vernetzungsformate sich anbieten können. Doppelte Strukturen sollen dabei jedoch unbedingt vermieden werden. Das Interesse der anderen Landesstellen ist auf jeden Fall da, erste digitale Treffen hat es bereits gegeben. Hierbei zeigte sich jedoch auch, wie unterschiedlich die Schwerpunkte und personelle Besetzung der einzelnen Landesstellen sind. Ein Thema, das uns alle beschäftigt, ist ganz klar die Unterstützung bzw. Professionalisierung der Notfallvorsorge.

Sie sind beide Mitglieder des Expert·innennetzwerks der KEK. Wie nutzen Sie diesen Austausch für Ihre Arbeit im Land?

Corbach: Das Expert·innennetzwerk der KEK bietet während der jährlichen Zusammenkünfte – und natürlich auch darüber hinaus – Gelegenheit zum Update über bundesweite politische Entwicklungen, zu gegenseitiger Information und zu informeller Abstimmung. Persönlich freue ich mich, dass diese Runde in den letzten Jahren auch konservierungswissenschaftliche Kompetenz hinzugewonnen hat. Je breiter der Blickwinkel, desto qualifizierter und letztlich kraftvoller kann die Sache des Originalerhalts für Bibliotheken, Archive und Museen vorangebracht werden.

Holly: Ich schätze die breite Perspektive der deutschen Bibliotheks- und Archivlandschaft auf die aktuellen Fragen der Bestandserhaltung sehr und kann hier in starkem Maße für die Ausrichtung meiner Arbeit profitieren. Sachsen-Anhalt ist ein vergleichsweises kleines (Flächen-)Land mit vielen kleineren Einrichtungen, die wir an die Landes- und Bundesprogramme für den Erhalt des schriftlichen Kulturguts heranführen möchten. Diese benötigen jedoch häufig längere Vorlaufzeiten in der Planung und Bereitstellung von Eigenmitteln und im Konzipieren von Anträgen. Die Belange und Herausforderungen der kleineren Einrichtungen in die KEK hineinzutragen und diese so sichtbar zu machen, ist mir ein wichtiges Anliegen.