Die KEK im Gespräch mit Manfred Anders vom Leipziger Zentrum für Bucherhaltung (ZFB) und Danny Weber vom Archiv der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften über ein neues Verfahren zur Wiedersichtbarmachung verblasster Schrift.

KEK: Vielleicht kennen Sie den Spaß, Botschaften vor neugierigen Blicken mit unsichtbarer Tinte aus Zitronensaft zu verbergen. Nah ans Kerzenlicht gehalten erscheint auf dem leeren Blatt wie von Zauberhand die Nachricht. Was Kinderaugen staunen lässt, bereitet Forschern für Schrifterhalt einiges Kopfzerbrechen: Die Frage, wie unsichtbare Informationen wieder sichtbar werden können, bedarf dringend einer Lösung. Denn in Archiven schwinden Farben und Schriften leise von den Seiten wichtigen Kulturguts. Warum verblassen die Informationen?

Anders: Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Farbmittel mit ganz individuellen Abbaumechanismen. Die Hauptursache für das Verblassen sind jedoch meist Oxidationsprozesse. Diese werden durch Licht, insbesondere UV-Strahlung, und erhöhte Temperaturen begünstigt. Ebenfalls eine häufige Ursache sind meist sauer katalysierte Hydrolyseprozesse.

Weber: Großen Einfluss auf das Verblassen von Informationen haben also besonders die Lagerungsbedingungen in den Archiven, Bibliotheken und Museen. Je schlechter die Bedingungen, desto höher die Gefahr, dass Informationen verblassen und damit verloren gehen können.

KEK: Welche Objekte sind besonders gefährdet?

Anders: Besonders betroffen sind moderne Objekte, etwa aus den letzten 150 Jahren, denn bei modernen Schreibmitteln und Kopierverfahren wurden und werden oftmals Farbmittel mit geringen Beständigkeiten eingesetzt. Ein bekanntes Beispiel sind Thermodrucke und -kopien, wie handelsübliche Kassenbelege, die bereits nach kürzester Zeit schon so stark verbleichen, dass selbst eine Digitalisierung zum Informationserhalt nicht mehr möglich ist.

Weber: Schaut man sich die in den Archiven verwahrten Bestände an, dann stammen circa 80–90%, in manchen Archiven auch mehr, der Unterlagen aus den letzten 150 Jahren, es handelt sich um ein echtes Massenproblem.

KEK: Wir sprechen also nicht nur von Schäden der fernen Zukunft?

Anders: Absolut nicht. Um zum einen rechtzeitig gegen das Verblassen moderner Schriften gewappnet zu sein, müssen heute schon geeignete Methoden  entwickelt werden. Zum anderen steht man auch aktuell bereits oft vor dem Problem des drohenden Informationsverlusts.

Weber: Dies betraf auch das im KEK-Modellprojekt bearbeitete Expeditionstagebuch des Botanikers Walther Hoffmann aus dem Jahre 1941, das im Archiv der Leopoldina in Halle verwahrt wird. Das Tagebuch wurde mit einem sogenannten Kopierstift geschrieben, wobei neben der Originalhandschrift auch ein Durchschlag erstellt wurde. Die Originalschrift und der Durchschlag waren bereits deutlich verblasst. Außerdem hat sich der Kontrast zum Untergrund durch eine starke Vergilbung des Papiers sehr verschlechtert.

KEK: Sie haben mit einem Team aus Wissenschaftlern am ZFB ein Verfahren entwickelt, verblichene Schriften wieder lesbar zu machen. Ganz so einfach wie beim Sichtbarmachen von Geheimtinten mittels Feuer ist es sicher nicht?

Versuchsaufbau
Laboraufbau zur Hyperspektralanalyse. © Uniwersytet Jagielloński/Tomasz Łojewski

Anders: Leider nicht. Es gelang uns aber dennoch, ein zerstörungsfreies, kamerabasiertes Verfahren zur Wiedersichtbarmachung der verblassten Handschrift des Tagebuchs zu entwickeln. Das Verblassen von Schriften bedeutet ja zunächst, dass die Absorption der Farbmittel im sichtbaren Bereich des Lichts verloren geht. Erste Versuche mittels Hyperspektralanalyse erbrachten leider keine zufriedenstellenden Ergebnisse. Mit einer speziell entwickelten Beleuchtungs- und Kameratechnik gelang es jedoch, die Handschrift in einem sehr viel breiteren Spektralbereich abzubilden, als es mit dem menschlichen Auge sichtbar ist. Da die Farbmittel auch im nicht sichtbaren Bereich absorbieren, konnten die Informationen anschließend durch einen eigens entwickelten Bildbearbeitungsalgorithmus wieder sichtbar gemacht werden. Außerdem konnte die geringe, noch verbliebene Absorption im sichtbaren Bereich durch spezielle Foto- und Filtertechnik im Bild deutlich verstärkt werden.

KEK: Was gibt es perspektivisch noch zu tun, um den Informationsverlust der schriftbewahrenden Institutionen entgegenzuwirken?

Anders: Generell müssen in den Archiven und Bibliotheken natürlich auch weiterhin konservatorische Maßnahmen zur Bestandserhaltung ergriffen werden. Dazu zählen sowohl präventive Maßnahmen, wie ideale Lagerungsbedingungen, als auch aktive Konservierung, wie die Papierentsäuerung. Für neue Objekte wäre es wünschenswert, dass verstärkt Farbmittel mit höherer Beständigkeit wie dokumentenechte Tinten verwendet werden. Bezüglich der Wiedersichtbarmachung gilt es, die entwickelten Lösungsansätze weiter zu vereinfachen, um auch für ungeschulte Personen anwendbar zu sein. Dazu müssen abstimmbare Lichtquellen und -filter eingesetzt und Programme für eine automatisierte Bildverarbeitung geschrieben werden.

Weber: Ich glaube, dass es auch nach wie vor notwendig ist, in der Breite das Bewusstsein für Bestandserhaltungsmaßnahmen allgemein, aber auch im Besonderen für die Frage des Verlusts von Informationen durch Verblassen sowohl bei den Fachkollegen als auch bei den Entscheidern in der Politik und bei Förderorganisationen zu schaffen beziehungsweise weiter zu schärfen.

KEK: Wenn man an den Schutz des Schrifterbes denkt, kommen einem eher Bilder von Magazinräumen der Restaurierungswerkstätten in den Sinn als Forschungslabore. Wie würden Sie den Beitrag der Wissenschaften zur Bestandserhaltung definieren?

Buch mit Farbkeil
Gelblicher Einband mit Farbkeil. © Zentrum für Bucherhaltung

Anders: Wissenschaftliche Untersuchungen der Abbaumechanismen eines Stoffes sind eine unverzichtbare Grundlage für die Entwicklung nachhaltig wirksamer Maßnahmen. Das betrifft nicht nur die Farbmittel verblassender Schriften, sondern sämtliche Materialien, aus denen die Kulturgüter bestehen (Papier, Leder etc.). Auf Grundlage dieser Erkenntnisse können chemische oder physikalische Behandlungsmethoden entwickelt werden. Des Weiteren kann in Laboren durch künstliche Alterungstests sichergestellt werden, dass die entwickelte Behandlung auch langfristig einen positiven Effekt bewirkt. Erst nach dieser Absicherung sollte die entwickelte Methode in den Restaurierungswerkstätten verbreitet werden.

Weber: Der Beitrag der Wissenschaft zum Bestandserhalt sollte also in der Suche neuer innovativer Behandlungsmethoden liegen, welche sich auf solide Grundlagenforschungen beziehen. Hierbei scheint es auch mehr als sinnvoll zu sein, Erkenntnisse aus anderen Anwendungskontexten für Fragen der Bestandserhaltung zu adaptieren.

KEK: Wie kann die Grundlagenforschung gestärkt werden?

Anders: Die fachliche Kompetenz und Ideen für neue Behandlungsmethoden sind genügend vorhanden. Um diese zu verwirklichen, fehlt es jedoch an Finanzierungsmöglichkeiten. 

Weber: Es ist daher absolut zu begrüßen, dass seit diesem Jahr auch Mittel aus der Modellprojektfinanzierung der KEK für Projekte im Bereich Forschung genutzt werden können. Hier braucht es aber weitere Initiativen, um ausreichend Mittel für universitäre und außeruniversitäre Forschung zur Verfügung zu stellen.