Das Praktikum in der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) bildete einer meiner letzten Stationen der Referendariatsausbildung für den Höheren Bibliotheksdienst. Die Ausbildung per se schafft keine Expert·innen in Sachen Bestandserhaltung: Im begleitenden Masterstudiengang wird dem Thema ein Seminar von 2 mal 90 Minuten eingeräumt. Die Dringlichkeit des Originalerhalts konkurriert zwangsläufig mit der von IT-Kenntnissen, Semantic Web, Forschungsdatenmanagement, Open Access und vielen anderen Themen.
Mein Wissen zum Originalerhalt ergab sich eher aus der bibliothekarischen Praxis an der UB der Humboldt-Universität zu Berlin. Ich sah Zeitungsbände, die durch Säurefraß unbenutzbar geworden waren, und ich unterstützte Kolleg·innen in den Historischen Sammlungen bei ihrer Suche nach Schimmelstellen im Altbestand. Ich aktualisierte den Notfallmanagementplan in einer der Zweigbibliotheken, der nur drei Wochen später auch beansprucht werden musste, als die alten Rohre den Sommergewittern nicht mehr standhielten. Wie die meisten Bibliotheken verfügt die UB der Humboldt-Universität über ein gutes und präventiv angelegtes Wissens- und Notfallmanagement, das auch an die Referendar·innen vermittelt wird.
Zwischen Theorie und Praxis
Mein bibliothekarischer Blick auf den Originalerhalt war demnach anwendungsorientiert und pragmatisch. Die KEK fungierte in meinen Augen "nur" als bereitwillige und unerlässliche Geldgeberin für Maßnahmen, die anderweitig schwer hätten finanziert werden können. Infolge meines Praktikums stellte ich allerdings fest, dass ich meine Perspektive ändern muss. Die Arbeit in der KEK hatte nichts mit der praktischen Bestandserhaltung zu tun, sondern vielmehr mit deren Delegierung und dem damit einhergehenden hohen Verwaltungsaufwand.
Originalerhalt bei der KEK zu betreiben heißt, in großen Excel-Tabellen, Akronymen, Antragsformularen und Strategiepapieren zu denken: Fördergelder werden in der KEK nicht nur vergeben, sondern müssen auch selbst beantragt und – das ist besonders wichtig – zum rechten Zeitpunkt zugewiesen und weiterverteilt werden. Während die einzelne Institution projektweise plant, handelt die KEK auf einer prozessualen Ebene und versucht den Bestandserhalt des schriftlichen Kulturerbes in Deutschland bestmöglich zu koordinieren. Dabei gilt es nicht nur mit den einzelnen Institutionen in Dialog und Abstimmung zu treten, sondern auch die variantenreichen Konstrukte aus Ministerien, Fachgremien und Beratungsstellen zu berücksichtigen, die in den einzelnen Bundesländern wirken und ihrerseits um den Erhalt des schriftlichen Kulturguts bemüht sind. Indem ich die Übersicht dieser komplexen föderalen Strukturen für die Website der KEK aktualisierte, konnte ich hoffentlich dazu beitragen, neue Antragsteller·innen auf der Suche nach den richtigen Ansprechpartner·innen auf Länder- und Bundesebene zu unterstützen.
Auch wissenschaftliche Fragen waren zu klären
Auch wenn man bei der KEK nie ein altes Buch in der Hand hält, ist die Wissenschaft um den Originalerhalt hier ein zentrales Thema: Muss ein Bleisiegel gesondert gelagert werden? Dass Arsenfarbe für Menschen giftig ist, versteht sich von selbst, aber wie wirkt sie auf ein Buch aus, das damit bestrichen ist? Was sind die besten Methoden für Massenentsäuerung und Schimmelbehandlung? Wie unterscheidet man zwischen Säureschaden und Säurefraß und sind das überhaupt feststehende Termini? Diese Fragen kamen auf, als ich damit betraut wurde, das Glossar des KEK-Portals zu prüfen und zu erweitern. Nicht immer fand ich befriedigende Antworten. Das liegt vor allem daran, dass Bibliothekar·innen, Restaurator·innen und Archivar·innen in der Regel keine Zeit und Muße haben, ihr Fachwissen zu dokumentieren oder zu veröffentlichen. Auch das ist ein Problem, das die KEK anzugehen versucht: Sie schafft Plattformen, die ein bundesweites Wissensmanagement erleichtern sollen, und unterstützt darüber hinaus auch die Erforschung des Bestandserhalts mit Fördergeldern.
Wenn ich in meinem zukünftigen Berufsleben als Bibliothekarin mit dem Originalerhalt betraut werden sollte, wird sich mein Blickwinkel zwangsläufig zurück auf die Mikroebene, also auf vergilbtes Papier, verdächtige graue Flecken und kaputte Einbände richten. Trotz meiner guten Vorsätze wird für Forschung und Dokumentation vermutlich wenig Zeit bleiben. Doch mein Blick für den Makrokosmos, den ich hier dazugewonnen habe, wird in Zukunft bestehen bleiben und mir dabei helfen, Maßnahmen richtig zu beantragen und durchzuführen, mich an den richtigen Stellen zu informieren und mich mit anderen Institutionen abzustimmen.