Wer im 19. Jahrhundert Papyri kaufen wollte, wurde entweder auf dem ägyptischen Papyrusmarkt fündig oder ließ Grabungen vor Ort durchführen. Auf die Jagd nach den mehrere Jahrtausende alten schriftlichen Überlieferungen gingen private Sammler, aber auch Museen und Universitätsbibliotheken im Deutschen Kaiserreich. Im Jahr 1901 schwappte mit den wissenschaftspolitischen Ambitionen Preußens die Sammelwut aus dem 19. ins 20. Jahrhundert. In Berlin wurde die "Commission zur Erwerbung griechisch-litterarischer Papyri aus Egypten" gegründet.

Den Papyri auf der Spur

In deren Auftrag begann der deutsche Ägyptologe Dr. Ludwig Borchardt (1863 –1938) mit dem Ankauf von Papyri, die man später der Sammlung der Ägyptischen Abteilung der Königlichen Museen zu Berlin zuführen wollte. Als Attaché beim deutschen Generalkonsulat in Kairo nutzte Borchardt seine guten diplomatischen Beziehungen. Da sein Spezialgebiet eigentlich die altägyptische Bauforschung war, stand ihm der Papyrusexperte Otto Rubensohn (1867–1964) zur Seite.

Die Ägyptologen Otto Rubensohn und Ludwig Borchardt (von links). © Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/217/345, Schenkung von Dr. phil. Fortunatus Schnyder-Rubensohn

Die Berliner Commission war allerdings nicht die alleinige Auftraggeberin von Borchardt und Rubensohn. Auch andere deutsche Institutionen legten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Papyrussammlungen an. So hatten die Ankäufer neben der Berliner Bestellung auch Anfragen aus Bibliotheken in Straßburg, Leipzig und Gießen auf dem Tisch. Doch umso mehr Interessierte es gab, desto wahrscheinlicher waren Preissteigerungen auf dem ägyptischen Papyrusmarkt. Einen Konkurrenzkampf wollte man aus zwei Gründen vermeiden: Natürlich wollte niemand mehr bezahlen als notwendig. Außerdem sollte der Wettlauf um die besten Stücke zwischen den Hauptkonkurrenten Straßburg und Berlin nicht weiter angeheizt werden. In die Papyrijagd mischten sich unterschwellig alte politische Konflikte, denn Straßburg im ehemals französischen Elsass-Lothringen war 1871 auf Bestrebungen Preußens ins Deutsche Reich eingegliedert worden. Seit 30 Jahren war Elsass-Lothringen offiziell Reichsland, konkurrierte aber mit Preußens Sammelambitionen. "Der Konflikt zwischen Straßburg und Berlin auf dem Papyrusmarkt lief auf eine brisante Konkurrenz des Reichslandes Elsass-Lothringen mit Preussen als dem größten Bundesstaat des Reiches hinaus", sagt Altphilologe Prof. Dr. Oliver Primavesi, der die Geschichte des Papyruskartells erforscht hat. Straßburgs Beziehung zu Preußens Hauptstadt Berlin war also kompliziert.

Wie den Aufträgen gerecht nachkommen? 

Im Krieg gegen Preußen war in der Straßburger Stadtbibliothek eine bedeutende mittelalterliche Handschriftensammlung zerstört worden. Diesen Verlust beabsichtigte die inzwischen zur Kaiserlichen Universitäts- und Landesbibliothek aufgestiegene Einrichtung mit dem Aufbau einer ähnlich kostbaren Papyrussammlung zu kompensieren. Die beiden Ankäufer Borchardt und Rubensohn sahen sich in Ägypten mit schwierigen Entscheidungen konfrontiert: Alle Sammler wollten die besten Schriftstücke sich selbst zuschlagen. Wie aber sollte man den Aufträgen gerecht nachkommen? Brachen die beiden Ägyptologen womöglich weitere Konflikte vom Zaun, wenn sie beispielsweise Berlin statt Straßburg bei einem Auftrag bevorzugten?

Ob des Interessenkonflikts entschied sich Borchardt, den Auftraggebern seine Bedenken mitzuteilen. Dadurch entstand in Berlin die Befürchtung, Borchardt könne künftig nur noch Aufträge aus Straßburg annehmen. In der Folge hätten sich Borchardt für Straßburg und Rubensohn für Berlin auf dem ägyptischen Papyrus-Markt auch noch gegenseitig überbieten müssen. Eine Lösung kam in Sicht, als Berlin 1902 mit dem Vorschlag einer Kartellgründung an seine Konkurrenten herantrat. Künftige Ankäufe auf dem ägyptischen Markt sollten gemeinsam vollzogen werden. Mit nur einem Bieter sollte der innerdeutsche Preiskampf abgewendet werden. Im Nachgang eines kollektiven Kaufs könnten die Mitglieder des Kartells dann Teile des Konvoluts erwerben.

Papyrus Sammlung
Die Papyrussammlung der Universitätsbibliothek Leipzig zählt mit zu den größten Deutschlands. © Jörg F. Müller

Straßburg war wenig begeistert von den Ideen aus der preußischen Hauptstadt. Immerhin hatte es nach Berlin das höchste Budget für den Papyruserwerb und wollte die kostbaren Stücke lieber direkt akquirieren. Erst nach intensiven diplomatischen Anstrengungen unterzeichnete Straßburg im April 1903 als letzter Partner die "Vereinbarung zum gemeinsamen Erwerb literarischer griechischer Papyri". Es war die Gründungsstunde des Deutschen Papyruskartells. Die Geschäftsführung übernahm die Berliner Museumsverwaltung, die Otto Rubensohn als versierten Experten beauftragte, die Ankäufe des Kartells in Ägypten durchzuführen. Ludwig Borchardt widmete sich in der Folge seinen Grabungen in den Pyramidenbezirken in Abusir El-Melek.

Der Krieg macht dem Kartell ein Ende

Als Entscheidungsgrundlage für den Ankauf übermittelte Rubensohn den Mitgliedern des Kartells Angaben über den Inhalt der Papyri, den Kaufpreis und über Kauf- sowie Fundort. Innerhalb von zwei Wochen mussten diese sich entscheiden, ob sie Papyri aus den Rubensohn-Ankäufen erwerben wollten. Da häufig mehrere Institutionen die gleichen Schriftstücke beanspruchten, entschied zuletzt das Los. Die Papyri wurden dementsprechend auf Institutionen in ganz Deutschland verteilt. Diese Praxis wurde beibehalten, auch nachdem Berlin 1912 das Kartell verlassen hatte. Die Straßburger Bibliothek übernahm noch für zwei Jahre die Geschäftsführung, mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs stellte das Kartell seine Tätigkeiten auf dem ägyptischen Papyrusmarkt aber ein. Seine Aktivitäten bilden sich bis heute in einem Großteil der Bestände in deutschen Papyrussammlungen ab.