Der April unseres Kalenders zum Europäischen Kulturerbejahr erinnert an ein einschneidendes Ereignis aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs: den Bautzener Stadtbrand vom 2. Mai 1634. Der Stadtchronist Christian Gottlieb Platz (1657–1727) hat dieses Ereignis beschreibend überliefert und auch einen Kupferstich zum Brand in die Chronik eingefügt, die auf dem Kalenderblatt zu sehen ist. Wir haben Dr. Uwe Koch, Leiter der Geschäftsstelle des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK), zur Einordnung im Kontext von SHARING HERITAGE befragt. Dabei entdeckte der nationale Koordinator des Europäischen Kulturerbejahrs in Deutschland auch einen sehr persönlichen Bezug zur Bautzener Stadtgeschichte im Spiegel Europas.
KEK: In Ihrer Funktion als Organisator von SHARING HERITAGE schauen Sie viel in die europäische Zukunft und vermitteln die Gemeinsamkeiten unseres Kulturerbes. Welchen Beitrag kann ein schriftlicher Zeitzeuge wie die Bautzener Stadtchronik leisten?
Uwe Koch: Die Bautzener Chronik berichtet uns in anschaulicher Weise, wie diese historisch so bedeutende Stadt an einer der wichtigsten Handelsrouten Europas, der "via regia", in einem kulturellen Begegnungsraum zwischen den Lausitzen und Schlesien bzw. Sachsen und Böhmen zum Schnittpunkt vieler Ereignisse wurde. Diese haben das bauliche Erbe Bautzens und der gesamten Oberlausitz stark geprägt, was uns bis heute noch in seiner Vielfalt offenbar wird. Zu den Prägungen aus der Geschichte zählen aber auch Kriege und Konflikte, die in der Chronik eindrücklich geschildert werden. Insbesondere der Dreißigjährige Krieg hat Bautzen schwer getroffen, 1634 war ein Schicksalsjahr. Dieser Krieg, dessen Beginn sich 2018 zum 400. Mal jährt, und seine Beendigung 1648 in Münster und Osnabrück besitzen für Europas kulturelle Identität und seinen langen Weg zum Frieden eine grundlegende Bedeutung. Die Bautzener Chronik lässt uns daran teilhaben und nicht zuletzt erkennen, dass im lokalen Kulturerbe viel Europa zu entdecken ist.
Es gibt auch einen persönlichen Zugang zum sogenannten Dreiländereck: Sie haben dort zu Ihrer Familiengeschichte geforscht. Welche Entdeckungen und Erfahrungen haben Sie hierbei geprägt?
Viele meiner Ahnen kommen aus Nachbarschaftsräumen oder aus anderen Regionen Europas, so meine Großmutter aus Flensburg und ihre Ahnen aus Schweden und Dänemark. Ich habe es immer als bereichernd empfunden, über den "Gartenzaun" zu schauen und den Austausch mit anderen Menschen aus anderen Kulturen, Regionen und Ländern zu pflegen. Unter meinen großväterlichen Vorfahren aus Bautzen ragen insbesondere der Humanist Caspar Peucer (1525–1602) und der Arzt Gregorius Mättig (1585–1650) hervor. Sie waren weit über die Region hinaus prägende Persönlichkeiten des Humanismus. Insbesondere Mättigs Rolle als Stifter hat mich sehr beeindruckt. Sein in seinen Stiftungen weiterlebendes Vermächtnis, Bildung junger Menschen zu befördern und damit Teilhabe zu ermöglichen, ist etwas, was ich für eine zentrale Erkenntnis und Basis unserer Entwicklung halte. "Werde Teil und teile", das ist auch unser Motto und Antrieb bei SHARING HERITAGE. Gerade in einem Nachbarschaftsraum, den das Dreiländereck darstellt, ist das ein sehr wichtiges Anliegen, das hohe Aktualität besitzt.
Deutschland nimmt im Europäischen Kulturerbejahr eine herausragende Stellung ein. So findet z.B. der Summit "Sharing Heritage – Sharing Values" im Juni in Berlin statt. Gibt es besondere Gründe, die zu dieser starken Initiative geführt haben?
Die Durchführung des Summit in Berlin ist auch eine gewisse Referenz in Reaktion auf das deutsche Engagement für das Europäische Kulturerbejahr 2018. Europa Nostra als zivilgesellschaftliche Organisation reagierte darauf als erstes und plante, die European Heritage Award Ceremony 2018 in Berlin durchzuführen. Daraus erwachsen ist ein riesiges Programm, an dem auch unser Schirmherr, der Herr Bundespräsident, und viele Kulturminister europäischer Staaten, EU-Repräsentanten und Chefs von Kulturerbe Einrichtungen aus Europa teilnehmen. Insbesondere ist aber natürlich auch eine breite und interessierte Öffentlichkeit angesprochen.
Warum sind aus Ihrer Perspektive der Erhalt von Originalen und die Überlieferungssicherung des schriftlichen Kulturerbes für eine gemeinsame europäische Zukunft unabdingbar?
Das authentische Objekt, ob Archivalie oder Baudenkmal, Sammlungsstück oder archäologische Stätte, besitzt Zeugniswert für uns und unsere Nachkommen. Diese zu erhalten, zu pflegen und zu vermitteln, ist existentiell, um zu erkennen, woher wir kommen, was uns bis heute geleitet hat, was uns auch über heutige Grenzen hinweg verbindet. Alle diese Objekte sprechen zu uns, sie tragen Informationen und Botschaften in sich, die letztlich wesentlich dazu beitragen, unser Handeln heute und morgen verantwortungsvoll zu gestalten.