Chancen und Risiken der Massenentsäuerung
KUR-Studie
Erst 2008 wurde von mehreren Projektpartner·innen, u. a. der Deutschen Nationalbibliothek und der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, mit Unterstützung des KUR-Programms der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder eine langfristige Untersuchung zur Nachhaltigkeit der Massenentsäuerung von Bibliotheksgut gestartet. Die Ergebnisse dieser Studie sind im Frühjahr 2012 in einer Publikation veröffentlicht worden. Grundtenor dieser Ergebnisse ist, dass die Massenentsäuerung als Strategie zur Neutralisierung und Anlage einer alkalischen Reserve chemisch funktioniert und in zahlreichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte die Nachhaltigkeit der Massenentsäuerung bewiesen werden konnte.
Trotz allem besteht noch ein großer Forschungsbedarf, um die vorhandenen Verfahren zu verbessern. So sollen Nebenwirkungen so gering wie möglich gehalten werden, die alkalische Reserve signifikant erhöht, die Objekte gleichmäßig und durchgehend entsäuert und die mechanische Belastung des Archiv- und Bibliotheksgutes verringert werden, z. B. durch weniger Vortrocknung und keine mechanischen Manipulationen während des Entsäuerungsvorgangs. Akten und Bücher, die noch stabil genug wären, um eine Massenentsäuerung (bedeutet auch eine große mechanische Belastung) auszuhalten, stehen zumeist noch gar nicht im Fokus der Bestandserhaltung. Hier muss ein Umdenken geschehen, denn je stabiler die Objekte sind, desto höher ist die mögliche Lebensverlängerung durch die Entsäuerung und die Anlage einer ausreichenden alkalischen Reserve zu beurteilen.
Lagerung und Nachweis
Wichtig neben der Möglichkeit der Entsäuerung ist natürlich, zusätzlich eine gute alterungsbeständige Verpackung, eine lichtgeschützte Aufbewahrung und ein schwankungsarmes stabiles Klima als Werkzeug der Bestandserhaltung zu etablieren. Wird für eine Massenentsäuerung plädiert, so sollte man sich mit anderen Einrichtungen absprechen, um die Geldressourcen sinnvoll einzusetzen und nicht überall die gleichen Bestände zu behandeln. Eine bundesweite Datenbank und eine engere Zusammenarbeit der größeren Archive und Bibliotheken wären hierbei wünschenswert. Vorbild hierfür könnte der schon bestehende länderübergreifende Austausch über Mikroverfilmungsprojekte sein. Für stark nachgefragte Bestände sind parallel zur Entsäuerung eine Digitalisierung in Erwägung zu ziehen.
Alternative Maßnahmen
Bei bereits sehr brüchigen Beständen kann eine Massenentsäuerung unter Umständen mehr zerstören als erhalten. Die Behandlung verlangsamt zwar den Zerfallsprozess, kann diesen jedoch niemals stoppen oder umkehren. Es ist also bei jedem Bestand kritisch zu prüfen, ob Methoden der Konservierung, ergänzt durch Digitalisierung (Benutzungstopp der Originale bei gleichzeitigem Informationserhalt), nicht in solchen Fällen sinnvoller das Ziel der Langzeitaufbewahrung erfüllen. Der Anteil des Archiv- und Bibliotheksguts, dessen Informationsgehalt und gleichzeitig auch dessen äußere Form erhalten werden muss, ist in der restauratorischen Einzelbehandlung schonender und individueller zu bearbeiten als mit einer Massenbehandlung. Bei solchen Vorhaben sollte man sich dringend von Restaurator·innen beraten lassen.
- Entscheidet man sich bei stabilen, aber betroffenen Beständen (zwischen 1850 und ca. 1990) frühzeitig für eine Massenentsäuerung, ist die größtmögliche Lebensdauerverlängerung zu erreichen
- Eine Behandlung der Bestände durch Entsäuerung kann den Zerfallsprozess nur verlangsamen, niemals aber stoppen oder umkehren