Walter Meckauer war ein Sammler: Behutsam trug er Geschichten, Beobachtungen, Berichte, Eindrücke und Erlebnisse zusammen. Als der deutsch-jüdischer Schriftsteller nach der nationalsozialistischen Machtübernahme emigrieren musste, waren ihm seine Manuskripte eine Zuflucht. Sorgfältig verwahrte er die Schriftstücke als Kostbarkeiten in einem Koffer. Die neue Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 zeigt dieses einmalige Zeugnis des exilierten Künstlers. Dr. Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs und Kuratorin der Dauerausstellung, erzählt die Geschichte des herausragenden Objekts, das über mehrere Fluchtstationen durch Europa und die USA gerettet werden konnte.

KEK: Der Koffer Walter Meckauers hat eine beachtliche Reise hinter sich. Über welche Stationen ist die Manuskriptsammlung ins Deutsche Exilarchiv gelangt?

Sylvia Asmus: Der Koffer hat viele Wege der Familie Meckauer begleitet. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme emigrierten Walter, Lotte und die Tochter Brigitte Meckauer zunächst in die Schweiz. Der "alte braue Koffer" war damals noch nicht im Gepäck, er wurde kurze Zeit später von Meckauers Sekretärin Grete Heinzel von Klosterheide in die Schweiz gebracht. Von da an begleitete der Koffer die Meckauers auf ihren Exilstationen. Im Herbst 1933 emigrierten sie weiter nach Italien, wo sie sich zunächst in Rom und dann in Positano niederließen. Fünf Jahre später emigrierten sie weiter nach Frankreich, von dort 1942 wieder in die Schweiz. Nach Kriegsende vergrößerten die Meckauers die räumliche Distanz zu Deutschland und zogen nach New York. 1952 kehrten Walter und Lotte Meckauer und mit ihnen der Koffer nach Deutschland zurück. Nach dem Tod Walter und Lotte Meckauers nahm die Tochter Brigitte den Koffer in ihre Obhut. Ihr Witwer Rolf Kralovitz hat uns den Koffer bei unserem letzten Besuch im 2014 übergeben. Das war ein bewegender Moment.

Briefkoffer
Rund 3.000 Einzelblätter hat Walter Meckauer im Koffer zusammengetragen. © Deutsche Nationalbibliothek, Stephan Jockel

Welche Gefahren bestanden für Schriftsteller und Schriftstücke?

Das Exil birgt unzählige Gefahren für die Exilierten. Die Suche nach geeigneten Zufluchtsländern gestaltete sich oft schwierig und nicht selten musste weitergeflüchtet werden, weil sich der nationalsozialistische Machtbereich vergrößerte oder Zufluchtsländer keinen Schutz mehr boten. Diese Erfahrung musste auch die Familie Meckauer machen. Nachdem Italien immer stärker durch antisemitische Maßnahmen geprägt wurde und ausländischen Juden die Ausweisung drohte, waren die Meckauers zur Weiteremigration gezwungen. Im Juni 1939 erreichten sie Frankreich, wo Walter Meckauer zeitweise in Les Milles, Lotte und Brigitte Meckauer im Frauen-Lager Gurs interniert wurden. Aus Frankreich flüchteten sie 1942 über die grüne Grenze in die Schweiz, wo sie die nächsten Jahre verbrachten. Bei diesen erzwungenen Ortswechseln musste häufig Besitz aufgegeben werden und Dinge gingen verloren. Der Koffer wurde durch die Wirren des Exils hindurch gerettet.

Der Koffer wurde 2015 als KEK-Modellprojekt konservatorisch bearbeitet. Welche Schäden mussten konkret behoben werden?

Die Geschichte des Koffers hat sich ins Objekt eingeschrieben. Der Koffer wurde über Jahrzehnte hinweg genutzt und hat weite Strecken zurückgelegt. Die Herausforderung für die Restaurierung bestand darin, die Schäden zu restaurieren ohne die Spuren des Gebrauchs zu verwischen. Nach der Trockenreinigung des Koffers wurden das Bezugsmaterial und das Auskleidungspapier befestigt und lose Scharniere montiert. Die überlieferten Typoskripte wurden in einem nicht-wässrigen Verfahren entsäuert und Risse wurden geschlossen, wenn durch die Beschädigungen ein Informationsverlust drohte. Es wurden Klebebänder und Klebstoffe entfernt und wo nötig Barrierepapiere eingelegt. All diese Arbeiten wurden unter einer Prämisse ausgeführt: Der Zustand des Koffers und der Typoskripte sollte optisch möglichst unverändert bleiben, um die Geschichte dieses Objektensembles in der Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs "Exil. Erfahrung und Zeugnis" erzählen zu können.

Ausstellungsführung
Sylvia Asmus führt durch die Ausstellung "Exil. Erfahrung und Zeugnis". © Deutsche Nationalbibliothek, Stephan Jockel

Viele Schriftsteller hat die Exilerfahrung besonders hart getroffen. Oftmals ermöglichten es erst die mitgenommenen Manuskripte, weiter schriftstellerisch zu arbeiten. Gibt es Objekte in der Dauerausstellung, die dem Koffer ähnlich sind?

In unserer Dauerausstellung zeigen wir überwiegend Unikate – einmalige Zeugnisse, die für eine besondere Aussage stehen. Der Koffer von Walter Meckauer ist ein besonders Objekt, dessen Geschichte von der Familie überliefert wurde. Der Rechenschaftsbericht für die Hilfsorganisation American Guild des Schriftstellers Joseph Roth erlaubt aber zum Beispiel einen Einblick in dessen schriftstellerische und publizistische Arbeit im Exil. "Dank Ihrer Beihilfe habe ich meinen Roman 'Die Kapuzinergruft' beenden, ferner ein Essaybuch über österreichische historische Figuren bis zur Hälfte fortführen können. – Ich habe außerdem etwa 16 größere Aufsätze gegen Hitler schreiben können. Alle sind im 'Neuen Tagebuch' erschienen und honoriert worden. Auch diese Honorare verdanke ich Ihnen", schreibt der Schriftsteller im August 1938 und macht damit deutlich, wie wichtig Unterstützung für die Fortsetzung der schriftstellerischen Tätigkeit war. Eine Aussage zum künstlerischen Schaffen im Exil trifft aber beispielsweise auch eine Tasche mit Radierwerkzeugen der Bildenden Künstlerin Erna Pinner. Sie hat sich im Exil als Künstlerin neu erfunden, indem sie ihrer Arbeit als Illustratorin zunehmend eine naturwissenschaftliche Komponente verlieh. So illustrierte sie unter anderem den Führer für den Londoner Zoo.

Warum ist es wichtig, Originale zu erhalten und wie gehen Sie in Ihrer Ausstellung mit dem Thema Digitalisierung um?

Von materialen Zeugnissen geht eine besondere Faszination aus. Sie verfügen über eine Geschichtlichkeit, die kein Digitalisat erreichen kann. Originalexponate mit ihren eingeschriebenen Spuren können in besonderer Weise Wirkungen auslösen und wenn die Betrachter sich darauf einlassen, können sie eine Brücke sein zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Dennoch haben wir eine virtuelle Begleitausstellung zu der physischen Exposition erarbeitet. Diese virtuelle Ausstellung ist zeitunabhängig und überörtlich verfügbar, bietet eine gute Gelegenheit zur Vor- und Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs und erweitert den barrierefreien Zugang zu den Inhalten, zum Beispiel durch die Aufbereitung des Angebots für Screenreadersoftware. Insofern konkurrieren Originale und Digitalisate nicht, sondern sie ergänzen sich.