Als Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder und Vorstandsmitglied der Deutschen UNESCO-Kommission ist Prof. Dr. Markus Hilgert auf verschiedenen Ebenen in Förderung und Schutz von Kulturgut aktiv. Im Gespräch beschreibt er, was die Arbeit der Kulturstiftung ausmacht, und skizziert die großen Herausforderungen für den Originalerhalt in den nächsten Jahrzehnten.
KEK: Die Kulturstiftung der Länder fördert und begleitet im Auftrag der 16 Länder Projekte in den Bereichen Kunst und Kultur, die gesamtstaatlich bedeutsam sind. Wie definieren Sie die Rolle Ihrer Stiftung als Mittlerin zwischen Bund und Ländergemeinschaft?
Markus Hilgert: Die Projekte, die wir im Auftrag der 16 Länder fördern, entwickeln, begleiten und beraten, werden in aller Regel im Zusammenwirken mehrerer Partner umgesetzt. Unsere Aufgaben umfassen die Förderung des Erwerbs, des Erhalts, der Dokumentation sowie der Präsentation und Vermittlung von Kulturgut, das für das kulturelle Selbstverständnis und gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland einen hohen Wert besitzt. Da der Bund bzw. die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Kultureinrichtungen und -projekte von nationaler Bedeutung fördert, liegt es in der Natur der Sache, dass wir in vielen Bereichen kooperieren, so auch im Bereich des Erhalts schriftlichen Kulturguts. Darüber, dass es sich beim Originalerhalt um eine nationale Herausforderung handelt, gab es sehr schnell einen Konsens zwischen Bund und Ländern, nachdem 2009 in Köln beim Einsturz eines der bedeutendsten Kommunalarchive in Europa die Zeugnisse aus über 1.000 Jahren in Schutt und Trümmern versunken waren. Die Gründung der KEK gut zwei Jahre später ist Ausdruck dieses Konsenses.
Über die Modellprojektförderung tragen Sie seit Gründung der KEK zum Originalerhalt schriftlichen Kulturguts bei. Welche Bilanz ziehen Sie nach zehn Jahren?
Allein die Zahlen sind beachtlich: 850 Projekte hat die KEK in zehn Jahren in beiden Förderlinien unterstützt und koordiniert und mit 18,5 Mio. Euro den Erhalt von schriftlichen Originalen gefördert. Dahinter steht aber viel mehr: Durch die Förderung wurden und werden Konzepte und technische Innovationen zum Originalerhalt entwickelt und kommuniziert. Die KEK hat den nationalen Bedarf erhoben und ein nationales Konzept zur Sicherung dieses Erbes formuliert. Mit all diesen Tätigkeiten hat die KEK ein Expertennetzwerk und einen Wissensspeicher geschaffen über Methoden des richtigen Umgangs mit schriftlichem Kulturgut. Nicht zuletzt hat sie Sichtbarkeit geschaffen für dieses Thema und Sensibilität für dessen Relevanz.
Wo sehen Sie die gesellschaftliche Relevanz schriftlicher Überlieferung im Original, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung?
Originale schriftliche Kulturgüter sind weit mehr und anderes als ihre Digitalisate. Vielfach lassen sich am Original Entstehens- und Überarbeitungsprozesse von Schriftgut, Texten, Bildern oder verschriftlichten Gedanken nachvollziehen. Auch Fragen zum Beispiel nach Material, nach dessen Verarbeitung und Herkunft erlauben Antworten auf Techniken oder Moden, auf spezifische oder zeitgenössische Stile oder die finanziellen Ressourcen ihrer Urheber. Insofern sind Digitalisierung und Originalerhalt nicht etwa Alternativen. Der Erhalt der Originale ist die Voraussetzung für die Digitalisierung, die der Forschung und Öffentlichkeit einen viel breiteren Zugriff ermöglicht. Wir dürfen aber nicht vergessen: So, wie wir nicht alles erhalten können, werden wir auch nicht alles digitalisieren können. Und solange das so ist, brauchen wir die Bestände der Archive und Bibliotheken als materielle Gedächtnisträger für unterschiedlichste Forschungsfragen. Das können so naheliegende sein, wie beispielsweise familien-, kirchen- oder sozialhistorische Untersuchungen. Mich haben zwei von der KEK geförderte Projekte begeistert: In einem Fall führte die Restaurierung von Originalen, Kompositionen von Maximilian Friedrich von Droste zu Hülshoff, in Münster zu deren neuerlicher Aufführung. In einem weiteren Projekt wurden restaurierte Baupläne in Schwerin zur Grundlage von Restaurierungen an alter Bausubstanz. Mit dem Fortschreiten technologischer Möglichkeiten werden sicherlich auch in hunderten von Jahren Forscher völlig andere Fragen an die Originale stellen.
Ein Leitbegriff der Arbeit Ihrer Stiftung ist die kulturelle Teilhabe. Wie erleichtern Sie den Zugang zu Kunst und Kultur?
Wenn Kultur der Ort ist, an dem wir in unserer Gesellschaft Bewertungen und Werte miteinander aushandeln, dann müssen wir darauf achten, dass möglichst viele Menschen in der Lage sind, an dieser Aushandlung teilzunehmen. Das betrifft die Fähigkeit, Kunst und Kultur zu lesen und zu verstehen und auch, sich darin auszudrücken. Die Kulturstiftung der Länder engagiert sich deshalb schon lange in der Förderung der kulturellen Bildung. Im vergangenen Jahr haben wir zusammen mit der Beauftragten der Bundesregierung den deutschen Preis für kulturelle Bildung Kulturlichter ins Leben gerufen, der innovative digitale Formate im Bereich der kulturellen Bildung auszeichnet. Den gerade ausgelaufenen, langjährigen Kongress für kulturelle Bildung Kinder zum Olymp werden wir im kommenden Jahr gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Kulturstiftung des Bundes durch ein neues Format ersetzen. Außerdem werden wir mit einem Internetportal online gehen, das, gefördert von der Stiftung Mercator, Aktivitäten und Förderinstrumente in der kulturellen Bildung in Deutschland in einem digitalen Schaufenster präsentiert. Nicht zuletzt wollen wir im Auftrag der Kulturministerkonferenz durch das deutschlandweite Projekt Mitbestimmungsorte: Gesellschaftliche Teilhabe am Museum fördern ausgewählte Museen dabei unterstützen, eine nachhaltige Diversifizierung ihrer Besucherstruktur zu erreichen und so die gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern.
Kulturgut soll Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende überdauern. Was sind die größten Herausforderungen für den Originalerhalt im 21. Jahrhundert?
Wir müssen Antworten finden auf die Frage, wie wir den Originalerhalt nachhaltiger und resilienter machen. Dazu gehören beispielsweise Fragen des Klimawandels, die sich u. a. auf Starkregenereignisse, das Gebäudeklima oder die Energieeffizienz von kulturbewahrenden Einrichtungen beziehen. Dazu gehört aber auch die Frage, wie wir im Notfall – sei er meteorologischen, sozialen oder militärischen Ursprungs – schriftliches Kulturgut schützen, z. B. durch fachgerechte Bergung oder präventive Auslagerung in dafür ausgewiesene Depots. Schließlich müssen wir uns weiterhin der Frage widmen, wie wir ressourcenschonend heute und in Zukunft Dokumente von großer Haltbarkeit produzieren – papierene, aber zunehmend auch digitale.