Als stellvertretender Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder ist Prof. Dr. Frank Druffner bestens vertraut mit den Besonderheiten der Kulturlandschaft Deutschlands. Im Gespräch mit uns zeigt er an Beispielen, wie eng Originalerhalt und Geschichte zusammenhängen.
KEK: Die Kulturstiftung der Länder setzt sich mit unterschiedlichen Programmen für den Originalerhalt ein. Welches sind die wichtigsten?
Frank Druffner: Die Satzung der Kulturstiftung der Länder hebt unter den förderungswürdigen Vorhaben der "Dokumentation und Präsentation deutscher Kunst und Kultur" ausdrücklich den Bereich der Restaurierung hervor. Restaurierungsförderung gehört also neben der Erwerbungs- und der Ausstellungsförderung – mit dem Ziel, originale Kulturgüter von gesamtstaatlicher Bedeutung für den öffentlichen Besitz zu sichern und dem Publikum in verständlicher Form zu vermitteln – zum Kerngeschäft unserer Stiftung. Anfangs erfolgte sie bloß fallweise und eher selten. Zwischen 2007 und 2011 unterstützten die beiden großen Kulturstiftungen, die des Bundes und die der Länder, gezielt 26 ambitionierte Restaurierungsvorhaben, die aufgrund des betreffenden Materials oder bestimmter Schadensbilder modellhaft wirken sollten. Schon damals standen u. a. die Stabilisierung zerfallsgefährdete Zeitungsseiten, die Nachhaltigkeit der Massenentsäuerung von Bibliotheksgut oder die Restaurierung häufig gebrauchter Musikalien auf der Agenda. Seit 2010 beteiligt sich die Kulturstiftung der Länder außerdem im Auftrag der 16 Länder an der Förderung der KEK, die den Originalerhalt schriftlichen Kulturguts in Archiven und Bibliotheken koordiniert und unterstützt. Von 2014 bis 2018 wirkten im Bündnis "Kunst auf Lager" zahlreiche Förderer bei der Restaurierung mobilen Kulturguts, also etwa auch mittelalterlicher Handschriften, zusammen. Seither verfügt die Kulturstiftung der Länder über einen zugegeben bescheidenen Etat, mit dem weiterhin Restaurierungsprojekte unterstützt werden können.
Über die Koordinierungsstelle fördern Sie auch kleine Archive und Bibliotheken, die oft wenig Eigenmittel für den Bestandserhalt haben. Warum sind diese Bestände so wertvoll?
Unterhalb der Ebene der Staats- und Landesarchive kommt Kreis-, Stadt- und Kirchenarchiven eine große, nicht immer nur lokale Bedeutung zu. Wenn man wie ich aus einer Gemeinde kommt, deren Archivschätze fast vollständig einem Brand im Jahr 1803 zum Opfer gefallen sind, dann weiß man, wie schwer man sich ohne Textzeugen bei familiengeschichtlichen, lokal-, wirtschafts- und sozialhistorischen, demographischen oder verwaltungswissenschaftlichen Forschungen tut. Es sind letztlich die Archivalien als materielle Gedächtnisträger, die die Identität eines Ortes stiften und bewahren, sich ins historische Kontinuum einfügen und die Materialbasis für vielfältige Untersuchungen bieten. Führt man sich die territoriale Gliederung des Alten Reiches mit seinen in die Hunderte zählenden souveränen, halbsouveränen und abhängigen Herrschaften, mit Fürstentümern, Grafschaften, Baronien und Klosterländern vor Augen, dann wird einem schlagartig bewusst, wie vielfältig sich das schriftliche Kulturerbe in der Fläche auf unsere vielen "Heimaten" verteilt. Hier liegen Chancen, aber angesichts der kommunalen Haushaltslagen auch Risiken, die man durch gezielte Bestandserhaltungsmaßnahmen mindern kann.
Adelsarchive sind ein ganz besonderer Fall, da sie meist in Privatbesitz sind. Wie kann hier gefördert werden?
Bei Adelsarchiven liegt der Charakter der Dokumente als Gedächtnisträger besonders offen, verquicken sich in ihnen doch meist familiäre mit herrschaftlichen und politischen Inhalten. Seit ihrer Gründung im Jahr 1988 hat die Kulturstiftung der Länder immer wieder einzelne Adelsarchive erworben und so in öffentliches Eigentum überführt, langfristig gesichert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Allerdings trennen sich Familien mit einem ausgeprägten Sinn für Historizität nur ungern von ihren oftmals über Jahrhunderte angesammelten Dokumentenschätzen. Große Archiveinrichtungen fanden jedoch den Kompromiss, solche Archive als Dauerleihgaben in ihre Magazine zu übernehmen und somit sachgemäß zu verwahren – meist sachgemäßer, als es auf privaten Adelssitzen möglich ist. Das Eigentumsrecht bleibt davon unberührt, doch genießen die Archivalien für die Dauer der Leihgabe nach dem Kulturgutschutzgesetz besonderen Schutz und nach Rücksprache mit den Eigner·innen können sie von Forscher·innen eingesehen werden. Die konservatorische und restauratorische Betreuung durch Fachpersonal kann etwaige Schadensbilder früh identifizieren und entsprechend gegensteuern. Bei der Finanzierung notwendig werdender Restaurierungsmaßnahmen muss man sich dann mit den Eigentümer·innen ins Benehmen setzen.
An welchen Förderungen oder Beständen wird dies beispielhaft deutlich?
Wir haben vor einiger Zeit in Baden-Württemberg mitgeholfen, das so genannte Oberrheinische Adelsarchiv aus Privatbesitz für das Landesarchiv zu erwerben. Es ist von einem Adligen, Nikolaus Freiherr von Gayling-Westphal, über Jahre hinweg zusammengetragen worden. Zunächst aus familiärem Interesse begründet, wuchs es im Lauf der Zeit durch gezielte Erweiterungen und Zukäufe aus der Region des so genannten Dreiländerecks bei Freiburg – wo sich Schweiz und Frankreich mit Deutschland berühren und wo Kulturräume wie das Elsass, das ehemalige Vorderösterreich und Baden oder die Pfalz ineinandergreifen – zu dem Adelsarchiv am Oberrhein heran. Die Bestände nehmen immerhin stattliche 16,5 Regalmeter ein und spiegeln 700 Jahre Regional- und Reichgeschichte wider. Da in ihm zahlreiche Familienarchive versammelt sind, lassen sich das adlige Leben vom Mittelalter bis in die Moderne, aber auch Aspekte der Verwaltung und des intellektuellen Austauschs hervorragend rekonstruieren. Insofern steht dieser Glücksfall modellhaft für die Bedeutung von Adelsarchiven insgesamt.
Kulturgut soll Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende überdauern. Was sind die größten Herausforderungen für den Originalerhalt im 21. Jahrhundert?
Wenn wir in die jüngste Vergangenheit schauen, dann sind die großen Herausforderungen genau dieselben, vor denen die menschliche Zivilisation insgesamt steht: Die meteorologischen Verwerfungen infolge des Klimawandels (Überhitzung, Überschwemmungen, Temperaturveränderungen), die Eingriffe des Menschen in die Natur (Flussbegradigungen, gewagte Bauprojekte, Brände) und die nie enden wollenden militärischen Konflikte bedrohen menschliches Leben ebenso wie Kulturgüter. Nur mit ausgewogenen nachhaltigen Konzepten hinsichtlich Sicherheit, Katastrophenschutz, Klimagerechtigkeit und internationalen Standards können wir auch auf dem Gebiet des Originalerhalts auf eine langfristige Sicherung hoffen – und gleichzeitig darauf, dass die Originale weiterhin von Menschen in einigermaßen gesicherten Lebensumständen benutzt werden können.