"Archäolog·innen schätzen den Zugriff auf Originale"

Bereits seit 1874 werden im Zeichen- und Planarchiv des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Athen einmalige zeichnerische Dokumentationen zu den wissenschaftlichen Aktivitäten in Griechenland und anliegenden Regionen bewahrt. Der vielfältige Bestand dient als wichtige Quelle für Archäologie, Altertumswissenschaft und verwandte Disziplinen. Verschmutzung und unzureichende Lagerung stellte die Erhaltung der Dokumente jedoch vor Herausforderungen. Zur Sicherung und Bedeutung der Pläne, Zeichnungen und Lithographien berichtet Dr. Dimitris Grigoropoulos, Referent für Allgemeines und Archiv sowie Verantwortlicher für die Archäologische Sammlung des DAI in Athen.
Im Fokus unseres KEK-Projekts steht das alte Zeichen- und Planarchiv des DAI Athen, das ca. 3.100 archäologische Zeichnungen, Pläne, Karten, Bauaufnahmen, Illustrationen und Rekonstruktionen antiker Denkmäler umfasst. Chronologisch erstreckt sich der Bestand von den Anfängen des Athener Instituts, das 1874 gegründet wurde, bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Darin enthalten sind Dokumente mit Schrift und Bildern in diverser Ausführung – von Lithographien und Handzeichungen in Tusche, Blei- oder Buntstift bis zu Aquarellen in Farbe und kolorierten Fotoabzügen – sowie in unterschiedlichen Formaten von ca. DIN A5 bis zu annähernd doppelter DIN A0. Auch die für die Dokumente verwendeten Papierarten sind sehr unterschiedlich – von Pergament und Industrie-, Stoff- und Büttenpapier bis zu Transparenzen und Folien. Diese erhebliche Vielfalt an Materialien, Formaten und Objektarten in Kombination mit der langen Laufzeit des Bestandes unterstreicht dessen Komplexität und stellt besondere Herausforderungen für den korrekten Erhalt dar.
Zusammen mit der Fotothek und den anderen Bestandsgruppen des Archivs bildet das Zeichen- und Planarchiv eine der wichtigsten Kernbestände historischer Dokumente am DAI Athen. Schon seit 1889 wurde dieser Bestand als wissenschaftlicher Apparat angelegt, um Zeichnungen, die im Auftrag des DAI Athen angefertigt wurden, aufzubewahren. Viele entstanden im Rahmen der redaktionellen Tätigkeit für hauseigene Publikationen, so z. B. für die "Athenischen Mitteilungen", einer der renommiersten Zeitschriften in den Altertumswissenschaften, die seit 1876 erscheint. Hinzu kamen mit der Zeit weitere Originalzeichnungen, Pläne, Bauaufnahmen, Karten und sonstige Illustrationen aus den Feldforschungen des Instituts und affiliierter Gelehrter in Griechenland, in der Türkei und in anderen Ländern. Es sind also historische Originale, die gewissermaßen den Umfang der Aktivitäten des DAI Athen und dessen Beitrag zur Archäologie sowie zum Kulturerhalt in den letzten 150 Jahren widerspiegeln. Einzelne Dokumente, so z. B. ein Entwurf der Stadt Athen von Stamatios Kleanthis und Eduard Schaubert, sind von unschätzbarem historischem Wert.
Die Dokumente lagerten bis vor kurzer Zeit in über 50 Jahre alten Planschränken, die sich durch deren Überfüllung und deren Nutzung als Mehrzweckablage für andere Objekte verbogen hatten. Sie waren entweder flach in den Schubladen oder in Mappen, die aber für diesen Zweck ungeeignet waren, abgelegt. Großformatige Zeichnungen waren oft, in manchen Fällen sogar mehrfach, zusammengefaltet, um in die Planschränke zu passen. Dies hat bei vielen Dokumenten zu Verschmutzung, zu erheblichen mechanischen Schäden und manchmal sogar zu Materialverlust geführt. Um diesen Prozessen Einhalt zu gebieten, werden im Rahmen des KEK-Projekts verschiedene Maßnahmen durchgeführt: von der detaillierten Schadenskartierung und der Trockenreinigung des ganzen Bestandes bis zu restauratorischen Eingriffen bei besonders stark beschädigten Dokumenten. Es sollen zudem sämtliche alte Verpackungsmittel durch neue archivgerechte ersetzt werden. Begleitend zum Projekt haben wir begonnen, die alten Planschränke zu ersetzen und ein neues Lagerungskonzept mit Monitoring der Klima- und Luftfeuchtebedingungen zu erarbeiten.
Die Objekte sind primäre Quellen für die Wissenschaft und Forschung, besonders im Bereich der Altertumswissenschaften. Bisher wurde der Bestand vorwiegend von Wissenschaftler·innen innerhalb des DAI für verschiedene Forschungs- und Publikationsvorhaben genutzt. Einzelne Dokumente wurden zudem im Rahmen von Ausstellungen in Deutschland und Griechenland gezeigt, so zuletzt in der Jubiläumsausstellung, die wir im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150. Bestehen des DAI Athen 2024 veranstalteten. Jährlich erreichen unser Archiv aber auch zahlreiche Anfragen von externen Wissenschaftler·innen weltweit, die im Rahmen verschiedener archäologischer, baugeschichtlicher und kunsthistorischer Vorhaben diese Originale studieren oder verwenden möchten. Aufgrund der Fragilität und des schlechten Erhaltungszustands ist die Nutzung der Originale eingeschränkt. Deswegen planen wir diesen Bestand bald zu digitalisieren und die Bilder und Metadaten in verschiedenen Nachweissystemen online bereitzustellen. Die Erschließung und Digitalisierung des Bestandes verspricht eine maßgebliche Verbesserung der Zugänglichkeit und des Auswertungspotentials.
In unserem Fall setzt das Digitalisierungsvorhaben den Originalerhalt voraus. Um die Zeichnungen überhaupt scannen und bearbeiten zu können, ist es zunächst nötig, die Dokumente zu reinigen, zu restaurieren und zu sichern. Die Bedeutung des Originalerhalts geht aber über diese spezifische Aufgabe hinaus. Obwohl Digitalisierung viel versprechen kann, wissen wir Archäolog·innen zu schätzen, was der Zugriff auf Originale bedeutet. Die Materialität und die physische Beschaffenheit eines Objektes können nur bedingt mit digitalen Medien wiedergegeben werden. Und dies gilt sowohl für archäologische Funde und Denkmäler als auch für historisches Schriftgut. Der Originalerhalt versichert, dass bei sich rasch ändernden Technologien das primäre Ausgangsmaterial für Generationen in der Zukunft weiter besteht und erneut sowie differenziert in Betracht genommen werden kann. Für das DAI Athen gilt dies in besonderer Weise, wenn man die ereignisvolle Geschichte des Instituts bedenkt. Wer hätte gedacht, dass diese Originale die Wirren der Weltkriege, samt Schließungen und Konfiszierungen, überstehen würden? Nur durch die langfristige Sicherung im Original können wir letztendlich diese Unterlagen als Wissensressource auch digital weiterhin nutzen und auswerten.
Teaserfoto © DAI Athen, Fotos Ulrike Schulz