Kommunale Archive bilden das Rückgrat der schriftlichen Überlieferung in Deutschland. Nicht zuletzt seit dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs haben die städtischen Wissensspeicher neue Aufmerksamkeit erhalten: Vor welchen Herausforderungen stehen regionale Archive, wie wandeln sich ihre Aufgaben und wie kann die langfristige Erhaltung des schriftlichen Kulturguts dort gelingen? Dazu äußert sich Dr. Christiane Zangs, Beigeordnete für Schule, Bildung und Kultur der Stadt Neuss, die auch stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags ist.

KEK: Das Neusser Stadtarchiv wird erstmalig im Jahr 1242 urkundlich erwähnt. Welche Bestände werden hier verwahrt?

Zangs: Das Stadtarchiv ist mit über 775 Jahren das älteste Institut der Stadt Neuss. Dort bewahrt die Stadt seit vielen Jahrhunderten ihre wichtigsten Dokumente auf: die juristisch relevanten Dokumente aus der Zeit der Stadtwerdung genauso wie die jüngsten dauerhaft zu sichernden Unterlagen aus Rat und Verwaltung.
Darüber hinaus auch ein breites Spektrum aus nichtamtlichem Archivgut, das aus den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Vereine und Verbände stammt und das gesellschaftliche Leben der Stadt in relevanter Weise dokumentiert.

KEK: Wie definieren Sie heute die Rolle des Archivs für die Stadtgesellschaft?

Christiane Zangs
Dr. Christiane Zangs ist Beigeordnete der Stadt Neuss für Schule, Bildung und Kultur. © Detlef Ilgner

Zangs: Neuss gehört zu den drei ältesten Städten der Bundesrepublik, weil wir unser Gründungsdatum dank römischer Überlieferung tatsächlich mit 16 v. Chr. genau bestimmen können. In der ihrer Historie sehr bewussten Stadt hat das Archiv eine ganz immense Bedeutung. Unter der Leitung von Dr. Jens Metzdorf hat es sich zu einem Informationszentrum und Forum der städtischen Erinnerungskultur entwickelt. Es wird von den Neusserinnen und Neussern intensiv genutzt, von Presse, Politik, Gerichten, Privatleuten, wissenschaftlicher und genealogischer Forschung. Wir haben hier mit dem „Forum Archiv und Geschichte“ einen sehr aktiven Geschichts- und Förderverein, sehr viele Bürgerinnen und Bürger wirken ehrenamtlich mit, arbeiten im und für das Stadtarchiv. Viele schreiben für das Neusser Jahrbuch, beschäftigen sich darin als Autorinnen und Autoren mit der Stadtgeschichte, werten dafür die überlieferten Dokumente des Archivs aus. Das Team des Stadtarchivs kümmert sich außerdem um die Sicherung von Überlieferung in privaten Händen und macht Aufrufe in der Presse zu bestimmten Anlässen, beispielsweise für eine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg. Wir fragen die Bürgerinnen und Bürger: Was haben Sie in den Familien an Objekten und Dokumenten aufbewahrt, was können Sie dem Archiv überlassen oder zur Reproduktion ausleihen? So bauen wir Kontakt auf, erzählen gemeinsam Geschichten und schaffen eine hohe Identifikation mit dem Archiv.

KEK: Wie steht es um die konservatorische Situation der historischen Zeugnisse im Neusser Stadtarchiv?

Zangs: Das Stadtarchiv verfügt über ein sehr geeignetes Magazin und mit Marcus Janssens über einen
hervorragenden Restaurator, der sich intensiv der Bestandserhaltung widmet. Was die Dokumente des Mittelalters und der Frühen Neuzeit betrifft, ist die Situation auch dank der Unterstützung durch die KEK inzwischen sehr gut. Anders steht es noch um einige Bestände aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Gerade die säurehaltigen Papiere aus der jüngsten Geschichte müssen dringend bearbeitet werden. Das gilt nicht nur für unser Archiv: Gerade in Kriegs- und Nachkriegszeiten wurden Papiere von sehr minderwertiger Qualität verwandt.

KEK: Das Archiv hat sich bereits viermal erfolgreich um Fördermittel der KEK beworben. Was konnte mit den Mitteln bisher erreicht werden?

Zangs: Archivleiter und Restaurator sind zunächst ein grundsätzliches Problem angegangen: Die Ratsprotokolle seit dem 16. Jahrhundert wurden in den 1960er-Jahren zur Sicherung laminiert, was heute hochproblematisch für die Papiere ist und ihre Substanz angreift. Hier konnten in einem Modellprojekt der KEK erstmals Methoden
für die Delaminierung getestet werden. In einem weiteren Projekt im Sonderprogramm der BKM konnten wir unter Nutzung der eigenen restauratorischen Expertise einen der wichtigsten Bestände, die Unterlagen der Kurkölnischen Verwaltung 1414 bis 1798 mit ihrer wertvollen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Überlieferung, von der Verschmutzung im Zweiten Weltkrieg reinigen und in geeigneten Archivboxen
verpacken.

Laminierung
Laminierung an einem Ratsprotokoll. © Stadtarchiv Neuss

KEK: Wie wichtig sind die kommunalen Einrichtungen für das regionale Kulturerbe?

Zangs: Das Gedächtnis jeder einzelnen Kommune und damit ihre Identität werden im Archiv dauerhaft
gesichert. Deshalb hat jedes einzelne kommunale Archiv eine große Bedeutung. Rein quantitativ wird in kommunalen Archiven insgesamt mehr aufbewahrt als in Bundes- und Landesarchiven. Deshalb darf man deren Rolle keinesfalls geringschätzen.

KEK: Wie diskutieren Sie den Erhalt des schriftlichen Kulturguts auf politischer Ebene, beispielsweise im Kulturausschuss des Deutschen Städtetags?

Zangs: Da gibt es zwei Punkte: Auf der einen Seite gilt es alles dafür zu tun, dass zukünftig schriftliches
Kulturgut besser bewahrt werden kann. Das beginnt mit dem Bewusstsein der städtischen Verwaltungen, alterungsbeständiges Papier zu verwenden. Ein weiteres großes Thema ist natürlich die Schutzdigitalisierung einzelner Bestände für die Benutzung. Zur Bestandssicherung gehört aber auch das Konservieren und Restaurieren, was in den vergangenen 20 Jahren vielerorts keine zentrale Rolle gespielt hat. Schwerpunkte waren das Forschen anhand der Dokumente und die Vermittlung, auch um damit die notwendige Außenwirkung zu erzielen. Deshalb begrüße ich es sehr, dass mit dem Sonderprogramm des Bundes jetzt ein größerer Fokus auf das nachhaltige Thema Bestandserhaltung gerichtet wird. Da merke ich auch bei den Kolleginnen und Kollegen mittlerweile eine höhere Sensibilität.