Kulturgutschäden dokumentieren!
Bilder vom Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar (2004) oder von den Trümmern des 2009 eingestürzten Kölner Stadtarchivs haben ikonischen Charakter und prägen die mediale Überlieferung von katastrophalen Kulturgutschäden. Wer aber weiß schon das Ausmaß der Schäden, die das verheerende Hochwasser des Jahres 2021 in Bibliotheken, Museen, Archiven oder an Denkmälern in Deutschland, insbesondere im Ahrtal angerichtet hat? Wer kennt die Zahl der alljährlich auftretenden Notfälle in kleineren Einrichtungen und die daraus resultierenden Schäden?
Das von Bouclier Bleu France seit vier Jahren betriebene Projekt "Mémoire des sinistres sur patrimoine culturel" zeigt, dass sich im Nachbarland Frankreich im Durchschnitt alle zehn Tage ein Notfallschaden ereignet. In Deutschland fehlt eine zentrale Erfassung aller notfallbedingten Schäden an denkmalgeschützten Objekten und Kulturgut bewahrenden Einrichtungen. Blue Shield Deutschland e. V. (BSD) möchte diesem Mangel abhelfen und hat im November 2024 den "Schadensmonitor Kulturgut Deutschland" gestartet. Bei diesem Nachweisinstrument können Angaben direkt in einen Online-Fragebogen eintragen werden: Schadensmonitor Kulturgut.
Die Ursachen für Notfallschäden sind vielfältig: Technisches Versagen, häufig die Primärursache von Bränden oder Wasserschäden, zählt ebenso dazu wie – häufig durch den Klimawandel bedingte – Überflutungen oder Erdrutsche. Hinzu kommen Vandalismus oder Diebstahl, aber auch Schäden, die durch jahrelange Vernachlässigung auftreten. Der Fragebogen erfasst, wiewohl er schnell und unkompliziert ausgefüllt werden kann, eine Vielzahl von Angaben. Sie sollen nicht nur eine differenzierte statistische Auswertung ermöglichen, sondern auch Forschungsdaten für spätere Untersuchungen liefern. Neben den Ursachen soll auch das materielle Ausmaß der Schäden erfasst werden. Häufig gehen Hinweise zum Schadensumfang auf Meldungen von Versicherern zurück. Ist Kulturgut der öffentlichen Hand allerdings nicht versichert, fehlen Angaben hierzu. Ersatzweise lässt sich der finanzielle Aufwand zur Schadensbehebung dann beispielsweise nur aus Angaben in Anträgen zur Förderung von Restaurierungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen feststellen. Für die Hochwasserkatastrophe vom Juli 2021 ermittelte ein Bericht der Bundesregierung für Nordrhein-Westfalen einen Schaden von insgesamt 12,3 Mrd. Euro, wovon 61 Mio. Euro kulturellen Einrichtungen und Archiven zugeordnet werden konnten. Für Rheinland-Pfalz wurde der Gesamtschaden auf 18 Mrd. Euro beziffert, Angaben zum Kulturgut waren hier jedoch mangels einschlägiger Daten nicht möglich. Der ideelle Verlust allerdings, der durch die Zerstörung von Geschichts- und Kulturzeugnissen, identitätsstiftenden Objekten und Ensembles entsteht, ist nicht zu beziffern, ihn gilt es zu verhindern oder mindestens zu minimieren.
Der BSD Schadensmonitor enthält derzeit 50 aktuelle Meldungen. Wenngleich erfreulicherweise katastrophale Notfallschäden in jüngerer Zeit nicht zu verzeichnen waren, so kann doch nach dem derzeitigen, bei weitem nicht vollständigen Meldestand für den Zeitraum eines Jahres durchschnittlich alle zwei Wochen ein Schadenereignis in einem Archiv, einer Bibliothek, einem Museum oder an einem Denkmal registriert werden. Zwar reicht die Datenbasis derzeit noch nicht aus, um statistisch gesicherte Aussagen machen zu können, doch lassen sich bereits jetzt Tendenzen erkennen, zu denen auch die Zunahme von Vandalismus-Schäden gehört, wie sie unlängst auch von der Deutschen Bischofskonferenz konstatiert wurde.
Derzeit überwiegen Schadensmeldungen, die aufgrund von Pressemeldungen vorgenommen wurden. Angestrebt wird die Zunahme von Meldungen aus betroffenen Einrichtungen selbst, um differenziertere Daten zu erhalten. Es besteht derzeit häufig noch eine gewisse Zurückhaltung gegenüber einer direkten Meldung eines Vorkommnisses Alle Angaben im BSD-Schadensmonitor werden jedoch vertraulich behandelt und eine Auswertung erfolgt lediglich in statistischer Hinsicht.
Durch die wichtige Arbeit spezialisierter Einrichtungen wie KEK oder SiLK, demSicherheitsLeitfaden Kulturgut, und durch die inzwischen recht zahlreichen Notfallverbünde, werden wertvolle Hilfen für die Vorbereitung auf den Notfall bereitgestellt. Unabdingbare Voraussetzung für die zielgenaue Planung entsprechender Maßnahmen ist aber auch die detaillierte Kenntnis über Umfang und Ursachen notfallbedingter Schäden sowie über den Zusammenhang von Schadensausmaß und Prävention. Die Auswertung der mit dem BSD-Schadensmonitor erhobenen Daten soll nicht nur Kulturgut bewahrenden Einrichtungen helfen, sondern auch dazu dienen, übergeordneten Behörden oder parlamentarischen Gremien eine faktenbasierte Grundlage für Entscheidungen über Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz von Kulturgut in Notfällen an die Hand zu geben.
Protecting Heritage in Crisis ist das Motto von Blue Shield, einer Organisation, die 1997 von den großen, weltweit agierenden Kulturerbe-Organisationen ICA, IFLA, ICOM und ICOMOS mit Blick auf den gesamten Kulturerbe-Sektor ins Leben gerufen wurde. In diesem Sinne engagiert sich Blue Shield Deutschland e. V., eines der derzeit 35 Nationalkomitees von Blue Shield weltweit, für den Schutz von materiellem und immateriellem Kulturgut in Krisen und Konflikten, wozu die Umsetzung der Haager Konvention von 1954 ebenso gehört wie die Vorbereitung auf Notfallszenarien aller Art.
Kontakt zum Projekt: schadensmonitor[at]blueshield.de
Teaserfoto © Susanne Marschall