

Stärkekleister, Knochenleim oder Siegellack: Theodor Fontane korrigierte, indem er neue Textfassungen über alte klebte. Und korrigiert hat er enorm viel. Dafür verwendete er nicht nur verschiedene Blätter unterschiedlicher Qualität und Größe, sondern auch verschiedene Klebstoffe. Diese brachte er punktuell an einer oder mehreren Stellen auf. Die Identifizierung und Ablösung der diversen Klebstoffe erforderte jeweils eine individuelle Technik. 13 freischaffende Restauratorinnen arbeiteten 2018 über mehrere Förderprojekte der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) hinweg an der Restaurierung des gesamten Autografenschatzes Fontanes. Sie bauten auf dem Wissen auf, das die Restauratorinnen Katharina Plate und Anika Knop in erster praktischer Anwendung in einem KEK-Modellprojekt 2014 erarbeitet hatten. Bei der Restaurierung der 13 Manuskripte mit rund 7.000 Einzelblättern wurden die Methoden nun weiterentwickelt und individuell an das jeweilige Objekt angepasst. Eine gute Kommunikation innerhalb der Gruppe war gefordert, um Erkenntnisse zu verbreiten und ein einheitliches Ergebnis zu erzielen.
"Unser Geschenk zum 200. Geburtstag ist die Restaurierung und nachhaltige Zugänglichkeit der Bestände", freut sich Bettina Machner, Betreuerin der Sammlung Literaturgeschichte. Am Ende des Fontanejahres 2019 ist die konservatorische Sicherung der Autografen abgeschlossen, die zum Teil in der Ausstellung "Fontanes Berlin" im Museum präsentiert werden. "Für diesen Erfolg war der erste Lauf des KEK-Modellprojekts von 2014, mit dem ein Standard gesetzt wurde, ganz wichtig", betont Ursula Hartwieg, Leiterin der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK). Damals bewarb sich das Stadtmuseum erfolgreich um Mittel für die Restaurierung und Sicherung der Manuskripte "Unterm Birnbaum", "Die Poggenpuhls" und "Der Stechlin".
Jedem der 1.200 Blätter der drei Manuskripte wandte sich Anika Knop 2014 einzeln zu. Auf die Trockenreinigung folgten je nach Empfindlichkeit der Schreibmittel eine Stabilisierung und Sicherung. Fehlstellen an den Rändern ergänzte sie, Risse kaschierte oder hinterlegte sie mit feinstem Japanpapier. Um die feuchtigkeitsempfindlichen Schreibstoffe – Theodor Fontane schrieb mit verschiedenen braunen Tinten, darunter auch Eisengallustinte, und korrigierte mit Rot-, Blau- und Bleistift – nicht zu gefährden, kam punktuell auch ein nichtwässriges Klebemittel zum Einsatz. Aufgrund der Materialität der Schrift verbot sich eine wässrige Entsäuerung; die Tinte hätte auslaufen können. Und nur bei besonders stark brüchigem Papier griff die Restauratorin auf nichtwässrige Entsäuerung zurück. Die der Restaurierung zugrundeliegenden
Arbeitsschritte sind detailliert dokumentiert – für andere Restauratorinnen und Restauratoren, die nach dem Modell Knops weitere Manuskripte sichern, aber auch für Literatur- und Materialforschung.
Im Jahr 2018 folgte die Restaurierung der restlichen 13 Manuskripte, die aufgrund ihres schlechten Zustands für die Öffentlichkeit gesperrt waren. Das säurehaltige, brüchige Papier hatte in den Randbereichen viele mechanische Beschädigungen und Fehlstellen. Eine Handhabung der Papiere im Folio-Format, oft bis an den äußersten Rand beschrieben, ließ sich nicht mehr verantworten. Auch eine das Material beanspruchende Digitalisierung war ausgeschlossen. Doch mit der Restaurierung strebte das Museum nicht nur erneute Zugänglichkeit für Interessierte und Forschende an, mehr noch: Es galt, Geheimnisse zu lüften. "Theodor Fontanes Korrekturverklebungen stellen Schwerpunkt und Herausforderung zugleich dar", sagt Katharina Plate in der von ihr geleiteten Restaurierungswerkstatt für Papier im Museum. "Indem sie gelöst und mit einem Falz aus Japanpapier aufklappbar wieder angebracht werden, sind die darunterliegenden Textpassagen nun für die Forschung zugänglich."
Aufbewahrt werden alle Manuskripte an zwei Orten: Die Originale liegen im Stadtmuseum in säurefreien Mappen mit Barrierepapieren zwischen den einzelnen Seiten, um weitere Säureschäden mittels alkalischer Reserven zu verhindern. Als hochauflösende Digitalisate liegen sie zudem auf den Servern des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik Berlin. "In Zukunft wird mit den Digitalisaten gearbeitet", sagt Bettina Machner. "Als ich die Manuskripte für die Restaurierung vorbereitet habe, fanden sich erschreckend viele Fragmente zwischen den Blättern. Ohnehin lässt sich auf dem Bildschirm dank der hohen Bildqualität mehr erkennen als auf dem Original." Mit dem Online-Zugriff falle für so manche Nutzerinnen und Nutzer auch die lange Anfahrt weg: "Schon bevor ich 1986 im Stadtmuseum anfing, kamen regelmäßig Forscherinnen und Forscher nach Berlin, um mit den Originalmanuskripten zu arbeiten. Dank der Digitalisate müssen sie das nun nicht mehr", so Machner.
"Dass die Korrekturzettel heute aufklappbar sind, ist für die Digitalisierung entscheidend", erklärt Katharina Plate in der Werkstatt. Gemeinsam mit Restauratorin Mirah von Wicht beugt sie sich über eine Manuskriptseite. Wie legt man den Falz hier am besten an? Der Zettel soll in der Position fixiert werden, in der Fontane ihn festklebte – zugleich muss er leicht aufzuklappen sein. Die beiden Expertinnen suchen nach der optimalen Lösung. Denn auch wenn das KEK-Modellprojekt von 2014 viele Antworten liefert, kommen in den drei Förderungen im Rahmen des BKM-Sonderprogramms 2018 immer wieder neue Herausforderungen auf den Tisch.
Beginnend mit "Frau Jenny Treibel", "L’Adultera", "Meine Kinderjahre" und "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" im ersten Projekt und "Vor dem Sturm" im zweiten konnten im dritten Projekt schließlich auch "Cécile", "Ellernklipp", "Unwiederbringlich", "Eine Frau in meinen Jahren", "Onkel Dodo", "Von Zwanzig bis Dreißig", "Quitt", "Vor dem Sturm" (Band IV) und "Der Krieg gegen Frankreich 1870/71" restauriert werden. Unterschiedliche Materialien und eigene Geschichten der Manuskripte verlangten nach vielfältigen Maßnahmen: Einige der hochwertigen Folio-Papiere, auf denen Theodor Fontane "Frau Jenny Treibel" entwickelte, und manche der Klebepunkte aus Stärkekleister, mit denen er größere Korrekturen befestigte, litten besonders unter Schimmelbefall. "Hier war also die Schimmelbekämpfung der Schwerpunkt", erklärt Plate. Davon abgesehen konnte die am Manuskript arbeitende Restauratorin Annine Wöllner den Papierzustand glücklicherweise als insgesamt "gut" bewerten. Dort, wo der Dichter mit Eisengallustinte schrieb, arbeiten die Restauratorinnen heute gegen den Tintenfraß an, denn das Eisen rostet. Durch das korrodierende Material des Schriftmittels verliert das beschriebene Papier an Festigkeit und kann zerfallen.
Als der Autor "Vor dem Sturm" verfasste, reichten seine Mittel nur für billiges Papier. Dessen hoher Holzanteil ließ die fast 3.000 Blatt schneller altern. "Sie sind sehr säurehaltig und an den Rändern besonders stark abgebaut. Das macht die Handhabung noch schwieriger", so die Werkstattleiterin Plate. Einige der mit organischen Mitteln vorgenommenen Verklebungen zerbröseln. So können sie leicht mechanisch vom Blatt genommen werden. "Andere Verklebungen sind stabiler und benötigen gasförmig zugeführte Feuchtigkeit, um sie zu lösen. In einigen Ausnahmefällen haben wir auch Abstand von einer Lösung der Verklebungen genommen. Das Risiko wäre zu hoch gewesen." Für wenige Zettel kommt jede Hilfe bereits zu spät. Katharina Plate und Bettina Machner beklagen den Verlust einiger Blätter, deren Klebung sich von alleine löste, und stehen vor weiteren losen Blättchen, die sich nicht mehr zuordnen lassen. Das sind jedoch Ausnahmen.
Auch wenn Theodor Fontanes Sparsamkeit im Papierumgang und seine Akribie in der Korrektur die Restaurierung seiner Manuskripte aufwendig macht – in der Werkstatt sieht man sie als Gewinn. "Zum Glück hat er so gearbeitet. Sonst hätten wir heute all diese wunderbaren Informationen über seinen Schaffensprozess nicht", findet Katharina Plate. Die Forschung wird wohl zustimmen, sobald sich die Bögen bis ins letzte Detail auf dem Bildschirm studieren lassen.
Teaserbild © Mirah von Wicht