Wieviel Akten sind in Archiven von Säurefraß betroffen? Wie groß ist der Restaurierungsbedarf in den Bibliotheken? Welche Maßnahmen sind in einer bundesweiten Koordinierung zu priorisieren? Auf Fragen wie diese galt es in den ersten KEK-Jahren fundierte Antworten zu erarbeiten. Die datenbasierte Bilanzierung der Gefahren und Schäden für und am schriftlichen Kulturgut war als Kernaufgabe in das Konzept der KEK-Pilotphase eingeschrieben. Auf dieser Zahlenbasis sollten für die Verantwortungsträger·innen für Überlieferungssicherung in Fachwelt und Politik Empfehlungen zum Originalerhalt formuliert werden.

Die Handlungsempfehlungen als Gemeinschaftswerk

Die Datenerhebung für diese Zusammenschau gestaltete sich als komplex. Vor allem die unterschiedlichen Ausgangslagen hinsichtlich der Strukturen und Datenverfügbarkeit in den Ländern galt es im Methodendesign zu berücksichtigen. Die Expert·innenbefragung stellte sich rasch als zielführendes Instrument heraus. So konnten in allen 16 Ländern von berufenen Expert·innen nach den Sparten Archiv und Bibliothek gebündelte Bestandsabfragen vorgenommen und an die KEK weitergeleitet werden. Parallel wurden in Bundeseinrichtungen definierte Bestandssegmente erfasst und das Ausmaß der Schädigungen geschätzt. Die Auswertung der Rohdaten wurde ebenfalls gemeinsam mit dem Expert·innennetzwerk vorgenommen.

Cover Bundesweite Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse sind 2015 als Bundesweite Handlungsempfehlungen publiziert worden. Damit lag erstmals eine länder- und spartenübergreifend bilanzierte Zustandsbeschreibung zum schriftlichen Kulturgut in Deutschland vor. Allein am Papierzerfall zeigt sich das enorme Ausmaß der Gefährdungen: In den Archiven in öffentlicher Trägerschaft sind Akten aus dem Zeitraum von 1851 bis 1990 im Umfang von 1,8 Millionen Regalmetern vom Säurefraß bedroht – also ungefähr die Streckenlänge von Berlin bis nach Moskau. In den wissenschaftlichen Bibliotheken sind wegen der Pflichtexemplargesetze prioritär rund 9 Millionen säuregeschädigte Bände zu behandeln. Die Gesamtbilanz lautet: Für die konservatorische und restauratorische Bearbeitung von jährlich mindestens 1 % des gefährdeten oder geschädigten schriftlichen Kulturguts müssen 63,2 Millionen Euro pro Jahr eingesetzt werden. Diese Summe ist eine Investition in die Grundlagensicherung von Kultur, Wissenschaft und Forschung. Wichtigstes Werkzeug für die Umsetzung dieser 1 %-Empfehlung wurde in den Folgejahren das BKM-Sonderprogramm. Von 2017 bis 2020 wurden 385 Projekte unterstützt und hierfür von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) rund 11,8 Millionen Euro bereitgestellt. Eine Kofinanzierung aus den Ländern oder den Einrichtungen in Höhe von mindestens 50 % kam hinzu. Und dennoch: Das Ziel ist noch lange nicht erreicht, wertvolle Bestände sind nach wie vor bedroht oder nicht zugänglich. Nach 10 Jahren KEK heißt es also: Es gibt noch immer viel zu tun!