Die KEK im Gespräch mit Ernst Otto Bräunche, ehemaliger Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe und Vorsitzender der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag, zur Bedeutung kommunaler Einrichtungen bei der Überlieferung des schriftlichen Kulturerbes. 

KEK: Beim Thema Kulturgutschutz sind Archive verglichen mit Kunstmuseen, Baudenkmälern oder Bibliotheken in der öffentlichen Wahrnehmung weitaus weniger präsent. Besonders kommunale Archive leisten aber Enormes. Was sind  die zentralen Aufgaben eines Stadtarchivs?

Bräunche: Ein Stadtarchiv ist zuständig für das schriftliche kulturelle Erbe der Stadt. Aus der schier unerschöpflichen Menge städtischer Unterlagen filtern wir das heraus, was für die Rechtssicherheit der Stadt und deren Geschichte von Bedeutung ist. Dies sorgt für Kontinuität und Transparenz des Verwaltungshandelns, ein Kernauftrag einer jeden Demokratie. Darüber hinaus kümmern sich Stadtarchive auch um die in der Stadtgesellschaft entstehenden, stadtgeschichtlich relevanten Dokumente zum Beispiel der Vereine. Ein Stadtarchiv ist das viel zitierte Gedächtnis der ganzen Stadt. Dieses Gedächtnis muss dauerhaft funktionieren, das heißt, die Archivalien müssen unter möglichst optimalen Lagerungsbedingungen aufbewahrt und – wenn erforderlich – restauriert werden.

KEK: Ihr Archiv wurde bereits 1885 gegründet. In 130 Jahren kommen sicherlich eine Menge Aktenberge und Dokumente der Karlsruher Geschichte zusammen. 

Bräunche: Die Gründung des Stadtarchivs Karlsruhe als älteste städtische Kultureinrichtung im Jahr 1885 basiert auf einem breiten Rückhalt in der Bevölkerung, die zahlreiche historische Dokumente zur Verfügung
stellte. Zunächst im Rathaus untergebracht, musste das Stadtarchiv seit seinem Bestehen immer wieder
umziehen, bis es 1990 in die für Archivzwecke umgebaute ehemalige Städtische Pfandleihe zog. Dies
war eine richtungsweisende Entscheidung, denn seitdem verfügen wir zentral in der Stadtmitte gelegen über ein außerordentlich funktionsfähiges Haus mit ausreichenden Erweiterungsmöglichkeiten. Im April 2013 wurde etwa das Stadtarchivgebäude nach einjähriger Bauzeit aufgestockt, so dass nun wieder Magazinraum für weitere zehn Jahre zur Verfügung steht. Seit Mitte der 1980er-Jahre werden jährlich im Schnitt 100 laufende Meter ins Archiv übernommen, regelmäßig Publikationen in vier Reihen herausgegeben, darunter einige mit Vorreiterrolle im kommunalen Bereich.  Digitale Angebote gibt es seit über zehn Jahren, darunter seit 2015 ein Digitales Stadtlexikon. Inzwischen verfügt das Stadtarchiv auch über mehr als eine Million Digitalisate vor allem von seinen Sammlungsbeständen, viele davon schon im Netz. 

KEK: Häufig fehlen Mittel für die fachgerechte Unterbringung des Archivguts. Optimale Lagerungsbedingungen sind ein Baustein für Bestandserhalt, bereits geschädigte Dokumente zu konservieren und zu restaurieren weitere. Was kann Ihr Haus angesichts der hohen Kosten leisten?

gezeichneter Bauplan
Ein historischer Bauplan aus dem Bestand des Stadtarchivs Karlsruhe. © Stadtarchiv Karlsruhe

Bräunche: Das Stadtarchiv Karlsruhe ist seit dem Umzug 1990 sehr gut im Bereich der Prävention aufgestellt. Die Archivalien lagern nahezu komplett in geeigneten Archivkartons verpackt unter optimalen
Klimabedingungen. Die Klimaanlage wurde 2013 auf den neuesten technischen Stand gebracht.
Neben der Prävention ist aber auch schon seit langer Zeit eine eigene Restauratorin für uns tätig.
Angesichts der Dimension der Gefährdung des Archivguts war schon lange klar, dass weitere erhebliche Mittel für bestandserhaltende Maßnahmen vor allem für Massenentsäuerung erforderlich sind. Ein besonderes Problem sind die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahezu komplett erhaltenen Karlsruher Bauakten mit zahlreichen Bauplänen, häufig auf Transparentpapieren, die in hohem Maße gefährdet sind. Abhilfe soll das Projekt "Rettung historischer Bauakten" bringen. Dafür haben wir dankenswerterweise von der KEK eine Anschubfinanzierung erhalten wie zuvor schon einmal beim Einstieg in die Massenentsäuerung. Gerade die Massenentsäuerung wurde bei einer Priorisierung als unsere vordringliche konservatorische Maßnahme herausgestellt, aber auch Einzelmaßnahmen zur Behebung mechanischer Schäden werden weiterhin notwendig sein. Dafür sind in Anbetracht der Aufgabenvielfalt zusätzlich zu unseren eigenen Sachmitteln Drittmittel wie die von der KEK dringend erforderlich.

KEK: Wie haben sich diese Modellförderungen ausgewirkt?

Bräunche: Die Modellförderung war für uns sehr wichtig. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, die Aufgabe der Bestandserhaltung organisatorisch und finanziell auf eine solide Basis zu stellen. Es hilft generell vor Ort ganz enorm, wenn die Bestandserhaltung als eine nationale Aufgabe erkannt und gefördert wird. Auch bei einer Stadt wie Karlsruhe, die ja mit der Bestandserhaltung durchaus nicht bei Null angefangen hat, war dies deutlich spürbar. Wir können nun jedes Jahr mit nahezu verdoppelten Haushaltsmitteln die am stärksten gefährdeten
Bestände entsäuern und restaurieren lassen. Bei Politik und Verwaltung wie auch in der Öffentlichkeit
schaffen geförderte Projekte zudem besondere Aufmerksamkeit, unterstreicht die Zuwendung durch
eine bundesweit anerkannte Stelle wie der KEK doch Stellenwert und Notwendigkeit einer konservatorischen Maßnahme im Archiv.

KEK: In der öffentlichen Wahrnehmung spielt die Notwendigkeit des Bestandserhalts eine bescheidene Rolle. Wo kein Problembewusstsein, da keine Problemlösung. Sind hier neben Bund und Ländern auch die Einrichtungen vor Ort gefragt?

Bräunche: Bestandserhaltung ist Thema bei jeder Archivführung. Darüber hinaus waren wir bereits zweimal bei den Nationalen Aktionstagen für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts vertreten. Das Stadtarchiv ist auch Teil des Notfallverbunds Karlsruhe, der seit 2011 besteht und ebenfalls für ein verstärktes Problembewusstsein sorgt. Eine gut besuchte Veranstaltung im Rahmen der Reihe Historischer Mittwochabend stand im März dieses Jahres im Zeichen der Restaurierung von Kulturgut, speziell der historischen Bauakten. Neben einschlägigen Informationen auf der Webseite des Stadtarchivs hat im September 2016 eine Ausstellung das Bauaktenprojekt und die eingesetzten Maßnahmen zur Erhaltung der Akten vorgestellt, hier war auch die Unterstützung durch die KEK Thema. Solche Aktionen werden weiterhin einen festen Platz in der Öffentlichkeitsarbeit unseres Hauses besitzen.

Gruppenbild
Michael Rotert, Dr. Ernst Otto Bräunche und Wolfram Jäger (von links). © Fränkle, Stadt Karlsruhe

KEK: Die Restaurierung der ersten E-Mail Deutschlands macht deutlich, dass moderne Dokumente aus Verwaltungen die säuregeschädigten Sorgenkinder der Archivare sind – und nicht etwa die mittelalterliche Pergamenthandschrift. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Bräunche: Eine gewaltige Herausforderung wird weiterhin der Kampf gegen den Zerfall der älteren seit
dem 19. Jahrhundert eingesetzten säurehaltigen Holzschliffpapiere sein. Hinzu kommen neue Probleme,
denn leider wird in vielen Verwaltungen immer noch nicht alterungsbeständiges Recyclingpapier verwendet,
das den Archiven künftig große Kosten verursachen wird. Archive fordern deshalb aus gutem Grund den unbedingten Einsatz alterungsbeständiger Papiere (DIN EN ISO 9706), Druckfarben und Schreibstoffe für die Unterlagen, die von ihnen archiviert werden. Die zweite große Aufgabe ist der Erhalt genuin digitaler Unterlagen ("born digitals"). In der Stadtverwaltung entstehen schon seit längerem solche Daten. Wie Papier müssen auch diese Daten noch in Hunderten von Jahren lesbar sein. Inzwischen liegen zwar technische Lösungen, wie das vom Landesarchiv Baden-Württemberg entwickelte Digitale Magazin (DIMAG), vor, mit dem wir dieses Jahr in die digitale Langzeitarchivierung einsteigen konnten. Digitalisate und DIMAG wollen aber gepflegt sein und müssen weiterentwickelt werden. Die damit verbundenen Aufwendungen werden die auch nicht gerade geringen Kosten für den Erhalt des schriftlichen kulturellen Erbes deutlich übertreffen.

KEK: Was gilt es zuerst zu tun?

Bräunche: Wir dürfen in unseren Bemühungen nicht nachlassen, das bereits in den Archiven aufbewahrte
Archivgut zu erhalten, für den Einsatz alterungsbeständiger Materialien zu kämpfen und die aktuell
bereits vorliegenden digitalen archivrelevanten Daten zu sichern und diese genau wie die Papierdokumente
auch künftigen Generationen zugänglich zu machen. Dafür benötigen wir die Unterstützung des Archivträgers,
aber auch bundesweiter Förderprogramme. Bund und Länder sind hier gefordert, den durch die Einrichtung der KEK beschrittenen Weg weiterzugehen und wirksame Strukturen für eine erfolgversprechende
nationale Anstrengung zum Erhalt unseres schriftlichen kulturellen Erbes zu schaffen.