Bewältigung eines Notfalls
Allgemeines
Ist ein Notfall eingetreten, müssen umgehend die ersten Schritte zur Bergung und Rettung eingeleitet werden. Handelt es sich um einen Brand, so ist jedoch davon auszugehen, dass man das Gebäude erst nach der vollständigen Löschung des Brandes betreten kann (hierbei unbedingt den Anweisungen der Feuerwehr Folge leisten). Auch sollte man von der Feuerwehr keine Bergungsaktivitäten erwarten, da ihre oberste Priorität die Rettung und der Schutz von Menschenleben ist.
Erste Schritte
Die ersten Anweisungen im Notfallplan sind so einfach zu halten, dass jede·r, der·die als Erste·r an der Havariestelle eintrifft, die richtigen Schritte einleiten kann. Eine kurzgefasste Handlungsanweisung ist deshalb jedem Notfallplan voranzustellen und ist Bestandteil der Notfallbox. Wenn der unbeschädigte Bestand gesichert wurde und eine erste Dokumentation des Schadensszenarios stattgefunden hat, kann mit der Bergung des beschädigten Bestandes begonnen werden. Dabei sind die Handlungsanweisungen für die Behandlung der verschiedenen Materialien zu beachten und alle Bergungskräfte einzuweisen. Aus diesem Grund ist es wichtig, möglichst umgehend Restaurator·innen vor Ort zu alarmieren, welche die Verpackung und Bergung fachkundig anleiten können.
Parallel zur Alarmierung des Notfallteams, der Partner·innen des Notfallverbunds und der Bergungskräfte sollten immer auch die erforderlichen Dienstleister·innen, z. B. für Transport und Gefriertrocknung, sowie die Versicherung und die Leitung bzw. Verwaltung informiert werden. Weiterhin ist es zielführend, sofort Räumlichkeiten zu organisieren, in denen unbeschädigte Bestände oder Bestände, die luftgetrocknet werden sollen, zwischengelagert werden können. Der·die Notfallbeauftragte und die Notfallgruppe sind für die Koordinierung aller Maßnahmen zuständig.
- Zeitfaktor beachten: so schnell wie möglich die ersten Schritte vorbereiten und einleiten
- Notfallplan muss auch für Laien verständlich sein: so kurz wie möglich, so ausführlich wie nötig
- Immer erst die unbeschädigten Bestände sichern
- Ständige Dokumentation aller Schäden und Vorgänge
- Handlungsanweisungen zur Bergung beachten (Behandlung der verschiedenen Materialien)
- Leitung bzw. Verwaltung, Versicherung und Dienstleister·innen so schnell wie möglich kontaktieren
- Transport und Verpackungsnachschub zeitnah organisieren
Faktor Zeit
Papier ist der Rohstoff, aus dem der Großteil der Bestände in Archiv und Bibliothek beschaffen ist. Das bringt vielfältige Probleme mit sich, denn die Papierfasern, die enthaltenen Bindemittel, z. B. Stärkekleister, Gelatine oder synthetische Klebstoffe, quellen bei Wasserkontakt stark auf bzw. verändern die Oberfläche der Papiere. Alte Schreibmittel wie Eisengallustinten sind wasserfest und verändern sich nur, wenn Rußtinte beigemischt wurde. Auch Druckfarbe ist zumeist haltbar. Anders sieht es jedoch bei Akten aus, die mit Farbstofftinten ab dem 19. Jahrhundert beschrieben oder gestempelt wurden. Diese Tinten können bis zur Unleserlichkeit auslaufen und die umliegenden Bereiche verfärben.
Hinzu kommt, dass man mit einer 2-2,5-fachen Gewichtszunahme des Papiers rechnen muss. Nasse Seiten reißen schnell ein und sind nicht mehr gut bewegbar. Einzelne Seiten kann man in diesem Zustand gar nicht mehr voneinander trennen oder umblättern. Besonders schwierig ist der Umgang mit nassen Kunstdruckpapieren oder fotografischen Materialien. Werden diese nass, so muss man darauf achten, diese bis zum Einfrieren feucht zu halten. Trocknen diese an, verbinden sich der Strich bzw. die Bindemittel unlöslich miteinander.
Beschädigte Bücher und Akten sollten schnellstmöglich geborgen und eingefroren bzw. luftgetrocknet werden, da es je nach Witterung nach Ablauf von 24-48 Stunden zu Schimmelbildung kommt. Ein so kontaminiertes Papier bedarf einer aufwändigen Nachbearbeitung mittels Trockenreinigung und eventuell weiterer restauratorischer Maßnahmen. Zusätzliche Schäden sind bei Überschwemmungen oder Rohrbrüchen durch die Kontamination des eindringenden Wassers mit Schlamm, Öl etc. zu befürchten. Wird eine Bergung mit solchen Zusatzbelastungen durchgeführt, muss besonders auf den ausreichenden Arbeitsschutz der Bergungskräfte (TRBA 240) geachtet werden.
- Papier quillt im Kontakt mit Wasser auf, verdoppelt sein Gewicht und ist im nassen Zustand sehr empfindlich
- Feuchte Papiere beginnen nach 24-48 Stunden an zu schimmeln und müssen schnellstmöglich eingefroren werden
- Nasse Kunstdruckpapiere oder fotografische Materialien bergen die Gefahr des Zusammenklebens und müssen bis zum Einfrieren feucht gehalten werden
- Zusätzliche Kontaminationen, z. B. durch Schlamm, Öl oder Abwasser, erfordern zusätzliche Arbeitschutzmaßnahmen
Einrichtung einer Erstversorgungsstation
Die Papierobjekte müssen für das Einfrieren in stabilen Plastik- oder Gitterboxen verpackt werden. Man sollte jedoch keine Gitter-Klappboxen verwenden, da der Klappmechanismus beim Einfrieren beschädigt werden kann. Die Boxen sollten generell nicht zu schmal sein, damit die Objekte, ohne sie zu stauchen, gut hineinpassen. Umzugskisten eignen sich auch. Verpackt man jedoch nasses Gut, muss dieses vor der Benutzung mit Folie ausgekleidet werden, um nicht durchzubrechen. Es lohnt sich, die Materialien an der Erstversorgungsstation so gründlich wie möglich vorzubereiten, denn dadurch spart man viel Zeit und Aufwand in der Nachbereitung. Die Medien sollten wenn möglich sauber und gerade (also nicht gequetscht oder verschoben) eingefroren werden. Eine Stabilisierung der Medien kann mit Mullbinden erfolgen.
Etwaiger Schmutz sollte gründlich, aber schonend, unter fließendem Wasser abgespült werden. Verbackener Schmutz, der eingefroren und auch gefriergetrocknet wird, arbeitet sich regelrecht in die Materialoberfläche hinein und kann nur noch mit hohem restauratorischen Aufwand entfernt werden. Schwer kontaminierte Objekte, z. B. durch Öl oder Diesel, sind separat zu verpacken. Hier ist eine spezielle Behandlung bei der Trocknung nötig (fachkundige·n Restaurator·in beauftragen).
- große, abwaschbare Tische
- fließendes Wasser, Becken mit Abfluss und Gitter
- Abrollmöglichkeit für Stretchfolie
- Müllsack an der Seite des Tisches ankleben
- Cutter, Schere, Spatel, Schwämme, Pinsel, Papiertücher oder -rollen, Mullbinden
- Löschkartonagen in Zuschnitten
- Verpackungsmaterial: Stretchfolie, dickere Baufolienabschnitte, Müllsäcke, Folienbeutel
- Dokumentationsmaterial: wasserfeste Stifte, vorgedruckte Listen, Bleistifte, Aufkleber, Schreibblöcke, Fotoapparat oder Handy zur Fotodokumentation
Bergung und Erstversorgung
Erst wenn die Feuerwehr oder die anderen Rettungskräfte den Bereich freigegeben haben, darf eine Bergung erfolgen. Da immer mit Kontaminationen gerechnet werden muss, haben sich alle Bergungskräfte ausreichend nach der TRBA 240 mit einer persönlichen Schutzausrüstung zu versorgen. Die Bergungskräfte sollten sich mit Einweganzug, Einweghandschuhen (Latex, Nitril oder Vinyl), Gummistiefeln und einem ausreichenden Mundschutz der Spezifikation FFP 3 ausstatten.
Alle Bergungskräfte müssen vor Beginn der Arbeiten eine Sicherheitsbelehrung absolvieren, in der auf die besonderen Gefahren, den Arbeitsschutz und den Ablauf der Bergung und Erstversorgung eingegangen wird. Nach der Sichtung der vorgefundenen Situation teilt der·die Notfallbeauftragte die teilnehmenden Personen in einzelne Arbeitsgruppen ein. Die erste Gruppe wird zumeist die Bergung direkt am Regal vornehmen und die Objekte in Interimsbehältnisse einbringen. Die zweite Gruppe wird die Transporte zwischen Bergung und Erstversorgung sowie nach der Erstversorgung durchführen. Eine dritte Gruppe ist für die Erstversorgung und Verpackung der Kulturgüter zuständig.